Dichter Erdling
Mitglied
Wenn du eine abweichende Meinung hast, darfst du die wohl noch sagen.
Also, manchmal.
Unter bestimmten Voraussetzungen, welche streng sein können und innerhalb eines Regelwerks, das für dich speziell gemacht wurde.
Das ist jetzt so.
Vorerst sprechen wir von 11 neuen Regeln, an die du dich zu halten hast, aber womöglich kommt noch etwas nach, damit wir das Dutzend vollmachen können.
(1)
Wenn du den Mund aufmachst, sei versichert, dass dir mit Argusaugen aufs Maul geschaut wird. Du stehst unter besonderer Beobachtung und wirst sehr, sehr argwöhnisch gemustert. Von allen Seiten, dessen musst du dir ständig bewusst sein.
(2)
Sofern sich eine Möglichkeit bietet, wird dir auch sogleich jedes Wort in deinem Mund umgedreht und gegen dich verwendet.
(3)
Man wird nicht versuchen, sich auf deine Worte einzulassen und dich zu verstehen, sondern man versteht dich absichtlich falsch oder man stellt sich dumm und tut so, als könne man deinen Worten einfach nicht folgen.
Prinzipiell unterstellt man dir nur die schlechtesten Absichten, wenn du mit deiner abweichenden Meinung an der nicht-abweichenden ankratzt, wobei die nicht-abweichende Meinung stets nur mit hehren Zielen verknüpft wird (denen du natürlich nur im Weg stehst).
(4)
Argumente, die man nicht hören will und die du aber aussprechen möchtest, macht man platt, indem man behauptet, dass das gar keine Argumente wären.
(5)
Doppelt und dreifach musst du auf deine Formulierungen, auf deine Logik, deine Darlegung achten! Wo sie können, werden die anderen wegen jeder Kleinigkeit einhaken und sich daran aufhängen, sodass deine eigentlichen Argumente gar nicht erst diskutiert werden.
(6)
Meide Begriffe wie „Mainstream-Medien“ (besser: Leitmedien), „Kriegstreiber“ (besseres Wort wird noch gesucht) oder „Propagandist“ (besser vielleicht: „Opinion Leader“) im Zusammenhang mit einer nicht-abweichenden Meinung.
Man wird diese Reizwörter hellhörig vernehmen und dich sogleich in eine Ecke verbannen, in der niemand mehr mit dir redet.
Man wird dir sagen, du seist populistisch, polemisch, „verschwörungstheoretisch“ und deine Wortwahl wäre unangemessen aggressiv, Hasssprache etc.
(7)
Auf der anderen Seite: Die Hasssprache derjenigen, die keine abweichende Meinung vertreten, ignoriere am besten.
Ohnehin wirst du nicht dagegen ankommen.
Es hat keinen Sinn, „Hass“ zu beanstanden, wenn sie von der „Achse des Bösen“ schwadronieren, von „imperialistischen Terrorbanden“, „Schreckensregimen“, „Schergen“, „Monstern“, „Schädlingen“ usw.
Diese Sorte Hass ist heute gedeckt und wird gemeinhin gebilligt.
Widerworte sind hier gar nicht gern gesehen und machen dich nur verdächtig, selbst Teil eines „Terrorregimes“ oder einer „bösen Achse“ … zu sein.
(8)
Die Doppelstandards gelten natürlich ebenso, was persönliche Angriffe der Diskutanten untereinander angeht.
Wenn dich also jemand „Propagandist“ nennt, „Lügner“, „Gefährder“, „trottelig dumm“ oder „asozial“, weil du eine abweichende Meinung vertrittst: Nimm es hin.
Vermutlich noch nicht mal wirst du dich verteidigen dürfen.
Im Gegenzug ist es dir selbstverständlich verwehrt, einen Zeitgeist, der zunehmend nur noch auf Gewalt, Übertreibung und martialische Sprüche setzt, als „kriegsbegeistert“ oder „hysterisch“ zu bezeichnen.
Auch wenn du dich damit gar nicht direkt an einen Mitdiskutanten adressierst, könnte sich dieser angesprochen und beleidigt fühlen – das wird man dir nicht gestatten.
(9)
Niemals darfst du dich irren!
Fehler sind DIR nicht erlaubt.
Hast du auch nur einmal eine falsche Zahl genannt, ein Wort vertauscht, einen Sachverhalt nicht 1:1 korrekt wiedergegeben, es ist dir ein Recherche-, ein Rechen- oder Rechtschreibfehler passiert, du hast dich vertan, verhaspelt oder hast dich schlichtweg einmal geirrt, im Ton vergriffen…, so wird man sich das für alle Zeit merken.
Wieder und wieder wird man davon anfangen, wenn du hinterher erneut nochmal mitreden möchtest.
Man wird sich auf ewig darüber lustig machen, darauf zurückkommen, sich deswegen aufregen und deine Autorität damit für alle Zeit untergraben.
Unnötig zu erwähnen, dass für nicht-abweichende Meinungen diese Regeln einmal mehr nicht gelten.
Wo sich solche Meinungsvertreter geirrt und vertan haben, sieht man ihnen das großmütig nach. Wird alles weggelächelt mit: „Irren ist menschlich“ und „Nur nicht kleinlich sein!“
(10)
Ähnliches gilt, wenn du in einem vorerst unklaren, offenen Sachverhalt in eine Richtung spekuliert hast, die sich im Nachhinein als falsch erweist.
Sollte dir das einmal passieren, bist du auch damit für alle Zeiten unten durch.
Nicht natürlich derjenige, der zwar ebenso in falsche Richtungen spekuliert hat, dabei aber keine abweichende Meinung vertritt.
Bei dem sagt man dann, es hätte sich in der Zwischenzeit bloß „der Wissensstand verändert“, um nicht sagen zu müssen, dass derjenige Blödsinn geredet hat.
(11)
Beim Zitieren sitzt du ebenso auf dem kürzeren, auf einem sehr kurzen Ast.
Abweichende Meinungen werden ja nicht nur im Diskurs, sondern schon vorher ausgemerzt.
Von daher wirst du nur schwerlich jemanden finden, den du zitieren kannst, um deine Ansichten zu untermauern, weil ziemlich jeder, der wie du eine abweichende Meinung vertritt, längst nicht mehr als seriöse, respektable Quelle gilt.
Kaum noch jemand da zum Zitieren.
Hingegen die nicht-abweichenden Meinungen können natürlich auf eine Fülle an Zitierquellen zurückgreifen. Umgekehrt gilt nämlich: Wer eine nicht-abweichende Meinung vertritt, ist automatisch seriös und respektabel und wird ständig zitiert sowieso.
So siehst du dich alsbald bombardiert mit Belegstellen, gegen die du dich schon wieder nicht wehren kannst.
Generell: Gewöhne dich daran, dass meist mehrere Diskutanten gleichzeitig auf dich losgehen, dich gemeinschaftlich in die Zange nehmen, um letzten Endes über dich zu triumphieren.
Zum Schluss:
Sei dankbar und froh, wenn du dich überhaupt noch zu Wort melden und vielleicht sogar deine abweichende Meinung ins weltweite Internetz einspeisen darfst.
Also manchmal und zumindest, solange deine Reichweite nicht allzu groß wird.
Aber Vorsicht: Wer allzu weit abweicht oder die neuen Regeln nicht achtet, wird gründlich gelöscht, um nicht zu sagen: zensiert.
Du kannst sicher sein: Man wird jeden Vorwand suchen, anwenden und vorschützen (und sich ausdenken), um deine Meinung möglichst unsichtbar zu halten.
Nun viel Spaß in der Debatte!
Nachsatz:
Eventuell
(12)
Das Mittel der Satire wird dir ausdrücklich nicht gewährt.
Selbst wenn du im kafkaesken Regellabyrinth nur noch gegen gummiartige Wände läufst und Humor dir als letzter Ausweg erscheint: Sackgasse auch hier.
Du bist nicht befugt, der Welt auf diese Weise einen Spiegel vorzuhalten. Es fehlt dir die Lizenz zum Spötteln.
„Geschmacklos“, „unangebracht“ oder „missbräuchliche Verwendung eines Stilmittels“ werden sie dir sagen, und dass die Themen zu ernst seien, als dass man darüber scherzen sollte.
Vermutlich werden sie dir auch die „Neuen Regeln für eine abweichende Meinung“ mit der Begründung: „Nicht witzig!“ zurückschmeißen.
Also, manchmal.
Unter bestimmten Voraussetzungen, welche streng sein können und innerhalb eines Regelwerks, das für dich speziell gemacht wurde.
Das ist jetzt so.
Vorerst sprechen wir von 11 neuen Regeln, an die du dich zu halten hast, aber womöglich kommt noch etwas nach, damit wir das Dutzend vollmachen können.
Für abweichende Meinungen - das sind Meinungen, die nicht der schwätzenden Mehrheit entsprechen - gilt nun Folgendes:
(1)
Wenn du den Mund aufmachst, sei versichert, dass dir mit Argusaugen aufs Maul geschaut wird. Du stehst unter besonderer Beobachtung und wirst sehr, sehr argwöhnisch gemustert. Von allen Seiten, dessen musst du dir ständig bewusst sein.
(2)
Sofern sich eine Möglichkeit bietet, wird dir auch sogleich jedes Wort in deinem Mund umgedreht und gegen dich verwendet.
(3)
Man wird nicht versuchen, sich auf deine Worte einzulassen und dich zu verstehen, sondern man versteht dich absichtlich falsch oder man stellt sich dumm und tut so, als könne man deinen Worten einfach nicht folgen.
Prinzipiell unterstellt man dir nur die schlechtesten Absichten, wenn du mit deiner abweichenden Meinung an der nicht-abweichenden ankratzt, wobei die nicht-abweichende Meinung stets nur mit hehren Zielen verknüpft wird (denen du natürlich nur im Weg stehst).
(4)
Argumente, die man nicht hören will und die du aber aussprechen möchtest, macht man platt, indem man behauptet, dass das gar keine Argumente wären.
(5)
Doppelt und dreifach musst du auf deine Formulierungen, auf deine Logik, deine Darlegung achten! Wo sie können, werden die anderen wegen jeder Kleinigkeit einhaken und sich daran aufhängen, sodass deine eigentlichen Argumente gar nicht erst diskutiert werden.
(6)
Meide Begriffe wie „Mainstream-Medien“ (besser: Leitmedien), „Kriegstreiber“ (besseres Wort wird noch gesucht) oder „Propagandist“ (besser vielleicht: „Opinion Leader“) im Zusammenhang mit einer nicht-abweichenden Meinung.
Man wird diese Reizwörter hellhörig vernehmen und dich sogleich in eine Ecke verbannen, in der niemand mehr mit dir redet.
Man wird dir sagen, du seist populistisch, polemisch, „verschwörungstheoretisch“ und deine Wortwahl wäre unangemessen aggressiv, Hasssprache etc.
(7)
Auf der anderen Seite: Die Hasssprache derjenigen, die keine abweichende Meinung vertreten, ignoriere am besten.
Ohnehin wirst du nicht dagegen ankommen.
Es hat keinen Sinn, „Hass“ zu beanstanden, wenn sie von der „Achse des Bösen“ schwadronieren, von „imperialistischen Terrorbanden“, „Schreckensregimen“, „Schergen“, „Monstern“, „Schädlingen“ usw.
Diese Sorte Hass ist heute gedeckt und wird gemeinhin gebilligt.
Widerworte sind hier gar nicht gern gesehen und machen dich nur verdächtig, selbst Teil eines „Terrorregimes“ oder einer „bösen Achse“ … zu sein.
(8)
Die Doppelstandards gelten natürlich ebenso, was persönliche Angriffe der Diskutanten untereinander angeht.
Wenn dich also jemand „Propagandist“ nennt, „Lügner“, „Gefährder“, „trottelig dumm“ oder „asozial“, weil du eine abweichende Meinung vertrittst: Nimm es hin.
Vermutlich noch nicht mal wirst du dich verteidigen dürfen.
Im Gegenzug ist es dir selbstverständlich verwehrt, einen Zeitgeist, der zunehmend nur noch auf Gewalt, Übertreibung und martialische Sprüche setzt, als „kriegsbegeistert“ oder „hysterisch“ zu bezeichnen.
Auch wenn du dich damit gar nicht direkt an einen Mitdiskutanten adressierst, könnte sich dieser angesprochen und beleidigt fühlen – das wird man dir nicht gestatten.
(9)
Niemals darfst du dich irren!
Fehler sind DIR nicht erlaubt.
Hast du auch nur einmal eine falsche Zahl genannt, ein Wort vertauscht, einen Sachverhalt nicht 1:1 korrekt wiedergegeben, es ist dir ein Recherche-, ein Rechen- oder Rechtschreibfehler passiert, du hast dich vertan, verhaspelt oder hast dich schlichtweg einmal geirrt, im Ton vergriffen…, so wird man sich das für alle Zeit merken.
Wieder und wieder wird man davon anfangen, wenn du hinterher erneut nochmal mitreden möchtest.
Man wird sich auf ewig darüber lustig machen, darauf zurückkommen, sich deswegen aufregen und deine Autorität damit für alle Zeit untergraben.
Unnötig zu erwähnen, dass für nicht-abweichende Meinungen diese Regeln einmal mehr nicht gelten.
Wo sich solche Meinungsvertreter geirrt und vertan haben, sieht man ihnen das großmütig nach. Wird alles weggelächelt mit: „Irren ist menschlich“ und „Nur nicht kleinlich sein!“
(10)
Ähnliches gilt, wenn du in einem vorerst unklaren, offenen Sachverhalt in eine Richtung spekuliert hast, die sich im Nachhinein als falsch erweist.
Sollte dir das einmal passieren, bist du auch damit für alle Zeiten unten durch.
Nicht natürlich derjenige, der zwar ebenso in falsche Richtungen spekuliert hat, dabei aber keine abweichende Meinung vertritt.
Bei dem sagt man dann, es hätte sich in der Zwischenzeit bloß „der Wissensstand verändert“, um nicht sagen zu müssen, dass derjenige Blödsinn geredet hat.
(11)
Beim Zitieren sitzt du ebenso auf dem kürzeren, auf einem sehr kurzen Ast.
Abweichende Meinungen werden ja nicht nur im Diskurs, sondern schon vorher ausgemerzt.
Von daher wirst du nur schwerlich jemanden finden, den du zitieren kannst, um deine Ansichten zu untermauern, weil ziemlich jeder, der wie du eine abweichende Meinung vertritt, längst nicht mehr als seriöse, respektable Quelle gilt.
Kaum noch jemand da zum Zitieren.
Hingegen die nicht-abweichenden Meinungen können natürlich auf eine Fülle an Zitierquellen zurückgreifen. Umgekehrt gilt nämlich: Wer eine nicht-abweichende Meinung vertritt, ist automatisch seriös und respektabel und wird ständig zitiert sowieso.
So siehst du dich alsbald bombardiert mit Belegstellen, gegen die du dich schon wieder nicht wehren kannst.
Generell: Gewöhne dich daran, dass meist mehrere Diskutanten gleichzeitig auf dich losgehen, dich gemeinschaftlich in die Zange nehmen, um letzten Endes über dich zu triumphieren.
Zum Schluss:
Sei dankbar und froh, wenn du dich überhaupt noch zu Wort melden und vielleicht sogar deine abweichende Meinung ins weltweite Internetz einspeisen darfst.
Also manchmal und zumindest, solange deine Reichweite nicht allzu groß wird.
Aber Vorsicht: Wer allzu weit abweicht oder die neuen Regeln nicht achtet, wird gründlich gelöscht, um nicht zu sagen: zensiert.
Du kannst sicher sein: Man wird jeden Vorwand suchen, anwenden und vorschützen (und sich ausdenken), um deine Meinung möglichst unsichtbar zu halten.
Nun viel Spaß in der Debatte!
Nachsatz:
Eventuell
(12)
Das Mittel der Satire wird dir ausdrücklich nicht gewährt.
Selbst wenn du im kafkaesken Regellabyrinth nur noch gegen gummiartige Wände läufst und Humor dir als letzter Ausweg erscheint: Sackgasse auch hier.
Du bist nicht befugt, der Welt auf diese Weise einen Spiegel vorzuhalten. Es fehlt dir die Lizenz zum Spötteln.
„Geschmacklos“, „unangebracht“ oder „missbräuchliche Verwendung eines Stilmittels“ werden sie dir sagen, und dass die Themen zu ernst seien, als dass man darüber scherzen sollte.
Vermutlich werden sie dir auch die „Neuen Regeln für eine abweichende Meinung“ mit der Begründung: „Nicht witzig!“ zurückschmeißen.