Sie und Er

lietzensee

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Sie und Er​

"Aber wenn ..." Obwohl ihre Lippen seine Ohren fast berührten, schienen die Worte im Raum zu hallen.
"Sei still, ich bitte dich." Dunkelheit umgab sie und das war gut. Wenn sie einander schon der Gefahr des Redens aussetzten, dann sollten sie sich dabei nicht noch ansehen müssen. Eine Weile hörten beide auf ihren Atem.
"Wenn aber doch?", beharrte sie schließlich. Warme Speicheltröpfchen benetzten seine Wange.
"Unmöglich."
"Es könnte."
"Es kann nicht."
"Sicher will es."
"Es darf aber nicht."
Sie hielten einander in den Armen. Jetzt waren sie sich sehr nah, ein gemeinsames Innen gegen dieses unfassbare Außen. Beide wussten, was der andere dachte. Keiner traute sich, es in Worte zu fassen.
"Was ist es?", verletzte ihr Flüstern dann erneut die Stille.
"Wir wissen nicht mal, ob es ist."
"Könnte es sie sein?"
"Wie könnte sie sowas sein." Das war keine Antwort von ihm. Es war auch keine Frage. Er hatte keine Antworten und fürchtete alle Fragen. Dann glaubte er, in einiger Entfernung Geräusche zu hören. Vielleicht waren es zwei flüsternde Menschen, genau wie sie. Vielleicht war es aber auch etwas anderes. Er war dankbar, dass ihnen das Dunkel die Gewissheit ersparte.
"Wenn sie es nicht ist, dann bleibt nur er." Als sie das aussprach, verkrampften seine Finger. Er küsste ihren Mund. So wolle er ihre weichen Lippen spüren und sie zum Schweigen bringen. Man musste jetzt schweigen, wenn man sein wollte und er wollte ja mit ihr sein, solange... Sie sagte: "Er ist es."
Da streichelten seine Hände ihre Stirn. Das war es also. Sie war verrückt geworden. Die Angst hatte ihr den Verstand gekostet, wie all den anderen auch. Es war die Dunkelheit, das Unwissen und die Ahnung. Er liebte sie noch mehr, als sie ihren Wahnsinn offenbarte. Ihre Worte konnten nicht stimmen. Sie waren falsch, undenkbar und darum nicht wahr. Tastend fanden ihre Hände noch einmal zueinander. Dann konnten sie sich plötzlich in die Augen sehen.
Jetzt war es hell um sie. Über ihnen lachten spitze Zähne. Eine Stimme rief fröhlich: "Ich bin."
 

Matula

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Grüß Dich @lietzensee !
Mit dem Text bin ich leider überfordert. Ich musste gleich an ein Elternpaar denken, dass Angst hat, sein Kind zu wecken, weil es ein heranwachsender Vampir ist, wie sich am Ende herausstellt. Aber damit liege ich sicher falsch.
Im vorletzten Absatz fehlt im vierten Satz ein "t". Vielleicht ein (Halb-)Satz zur Erläuterung ?

Liebe Grüße,
Matula
 

lietzensee

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Hallo Matula,
vielen Dank für deine Antwort! Ich versuch die Erläuterung, so gut ich kann. Mein Ausgangspunkt war Angst in der Dunkelheit, wenn man nicht weiß, was sich in ihr verbirgt. Ich wollte quasi Angst durch Unsicherheit erzeugen. Die Protagonisten wissen nicht, was im Dunkeln vorgeht. Als Echo davon sollte der Leser in der gleichen Unsicherheit verbleiben. Darum wollte ich auch am Ende eine konkrete Erklärung vermeiden. Letzten Endes gebe ich also die oft gehörte und selten befriedigende Antwort: Deine Verwirrung beim Lesen ist gewollt.
Bei den Zähnen hatte ich auch keine konkrete Auflösung im Sinn. Ich wollte nur dem Ende mehr Dramatik geben und fand es eine schöne Wendung, dass sie sich zum Schluss in die Augen sehen können. Wenn ich mir deine Antwort durch den Kopf gehen lasse, ist dein Gedanke an Vampire aber sehr naheliegend. Darauf war ich einfach nicht gekommen.
Wahrscheinlich müsste ich deutlicher an den Leser telegraphieren, dass Unsicherheit und fehlende Auflösung gewollt sind. Ich schau mal, ob ich einen Weg dafür finde, mit dem ich zufrieden bin.

Viele Grüße
lietzensee
 

Matula

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Danke für Deine Erläuterungen, @lietzensee !
Ich glaube nicht, dass Du etwas ändern musst. Es ist einfach sehr schwer, eine Horrorgeschichte zu schreiben, die jeden erreicht. Lebend begraben zu werden, ist wahrscheinlich die Ausnahme ...

Herzliche Grüße,
Matula
 



 
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