Etagiade / Chevy-Chase-Strophe

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wiesner

Mitglied
Etagiade


Parterre bietet eine Frau
sich an, es leuchtet rot
im Flur und hinten grünlichblau,
es passt zum Angebot.

Etage eins gibt’s viel Rabatz,
links Schreien, rechts Musik.
Sie hätten alle ihren Platz,
doch führn sie ständig Krieg.

Etage zwei reicht man sich Kiff,
geraucht mal elegant
mit elitärem Bildungsschliff,
mal künstlerisch entspannt.

Etage drei ist bürgerlich
und voller Höflichkeit,
man hat das Grüßen innerlich
und sonst auch stets bereit.

Etage vier wohnt einer stur
für sich, er steht nicht auf
Kontakt und flüchtet wortlos nur
ganz schnell die Treppen rauf.

Es fehlen Keller und das Dach,
doch will kein Mensch dort rein.
So finden Tauben ihr Gemach,
auch Ratten ziehn bald ein.
 
Zuletzt bearbeitet:

wiesner

Mitglied
Danke, Arno, für Deinen Besuch und die schöne Wertung!

Ja, das muss eine Großstadt sein, das bunte Treppauf-Treppab. Obendrein hat mich die nicht einfache technische Anforderung der Strophe gereizt, denn die Hebungsforderungen - abwechselnd 4- und 3-hebig - bei gleichbleibender maskulinen Zeilenendung erfordert ein rhythmisches Gefühl, das immer wieder durchgehalten werden muss bei einem längeren Gedicht. (Es darf allerdings auch mal ordentlich zeilengebrochen werden, wie in Strophe 1 und 5 zu lesen ist).

Dir einen schönen Abend!

Danke auch an @Ubertas für's Lesen und Werten!

Béla
 

Ubertas

Mitglied
Hallo @wiesner,

gleich vorn weg, es handelt sich nicht um einen ping-pong Effekt für deine gute Bewertung meines Gedichts.
Dein Gedicht ist genial!
Mein erster Gedanke war, es erinnert mich an mein liebstes Gemälde überhaupt: das jüngste Gericht von Peter Paul Rubens.
Deine verschiedenen Etagen, sehr wohl bewohnt. Mit vielen Facetten menschlichen Seins und den Abgründen - Parterre klammere ich von Abgründen aus.
"Es fehlen Keller und das Dach" und trotzdem ziehen dort, wo kein Mensch rein will, gleich zwei namhafte Tiere ein.
Taube und Ratte.
Ich bin begeistert von deinem Gedicht!

Lieben Gruß, ubertas.
 

wiesner

Mitglied
Ping-Pong ... nein, bloß nicht!
Wir lesen uns rein und finden unsere Meinung.

Danke für die Begeisterung!
 

wiesner

Mitglied
Guten Morgen SilberneDelfine,

besten Dank für's Lesen&Werten! Hat mich sehr gefreut!

Gruß
Béla
 

surrusus

Mitglied
Ich schließe mich Ubertas an, @wiesner / bela ! :)

Eine Sache möchte ich noch hinzufügen, was, wie ich finde, bisher unterging: Nämlich die Rolle des Beobachters,
die distanziert aber trotzdem detailiert daherkommt.
Weswegen ich die Rolle des Betrachters in deinem Werk besonders interessant finde und hier möchte ich etwas, für mich Geniales, herausfiltern:

Ich kenne kein Gedicht, dass die Isolation und den Schmerz des Erzählers besser transportiert als deins. Klar ist der Inhalt der Strophen ein Leitsignal und arbeitet sich gesellschaftskritisch ab, in dem es die Klassensysteme aber auch Vorurteile aufgreift. Vorurteile deswegen, weil die Hintergründe der Lebensumstände der betroffenen Menschen, die in den Etagen wohnen, eher unbeachtet bleiben und das Gedicht sich eher an klassischen Stereotypen abarbeitet.

Jetzt führe ich meine Beobachtung zurück auf den Erzähler, der, meiner Meinung nach, sehr isoliert und "beschmerzt" zu sein scheint. Hier frage ich mich, inwiefern die Fähigkeit vorhanden ist, die Etagen anhand von Lebenserfahrung zu differenzieren. Was ja nicht direkt gemacht wird.

Da keimt in mir die Frage auf, in welche Etage das LI wohnt und ob das LI seine Isolation eventuell auf die Etagen überträgt.
Achtung, ich möchte hier erwähnen, dass ich Autor und lyrisches Ich sehr strikt trenne.

Ich erachte jedoch die Erwähnung des Beobachters für wertvoll.

Dir einen schönen Tag, bela.
 

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Mitglied
Da lese ich eine feine Genre-Studie, lieber Béla,

mit viel Liebe zum Erzählen und zum bildhaften Detail.
Ein bisschen wie ein Wimmelbild von Pieter Brueghel d. Ä.
An jeder Ecke ist etwas zu entdecken und das mit allen Sinnen. Find ich sehr schön und hab ich äußerst gerne gelesen.

Nur hier bräuchte Z3 metrisch noch zwei Silben, um ins ansonsten achtsilbige Schema zu passen:
Etage zwei reicht man sich Kiff,
geraucht mal elegant
mit bildungsklugem Schliff,
mal künstlerisch entspannt.
Wie wäre es mit so etwas wie

mit elitärem Bildungsschliff

?

Aber das ist auch das Einzige, was ich minimal zu bemäkeln habe. Vielleicht locken Tauben und Ratten ja auch eine Hauskatze an. Die fehlt noch. ;)

LG,
fee
 

wiesner

Mitglied
Herzlichen Dank, liebe Fee!

Da ist mir tatsächlich eine Hebung die Treppe runtergefallen. Ich habe Deinen Vorschlag unverzüglich eingebaut.

Gruß
Béla
 



 
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