Zeitreise zu meinen zukünftigen Kindern

Es war ein kalter Wintertag. Der Himmel war grau in grau und ich saß auf der Couch. Nur das Licht des Fernsehers erhellte den Raum. Wobei das Programm mal wieder nicht das Beste war. 2 Politiker, die sich stritten, eine Dokumentation über den aussterbenden gefleckten Auerknurrhahn und Elsa, wie sie durch den Schnee wanderte. Brrr, da wurde einem ja noch kälter, als es eh schon war. Ich zog die Decke bis zur Nasenspitze. Auf dem nächsten Kanal kam nur ein Strudel aus Farben. Mir wurde vom Zusehen schon ganz schwindelig. Ich wollte weiter schalten, doch das Bild zog mich wie magisch an. In meinem Kopf begann sich alles zu drehen. Ich schloss die Augen und plötzlich hörte das Schwindelgefühl auf und ich spürte harten Boden unter mir.

Hä? Gerade war ich doch noch auf der Couch gesessen, was war denn jetzt los. Vorsichtig öffnete ich die Augen. Und was ich da sah, raubte mir den Atem. Noch ganz benommen stand ich auf. Ich war in einer Art Umkleidekabine gelandet. Überall hingen Turnbeutel und es roch nach diesem ganz bestimmten Turnhallengeruch. Doch die Frage aller Fragen war, wie zum Henker war ich hierhin gekommen? Vielleicht würde ich ja in einer der Sporttaschen einen Hinweis finden. Auch wenn es mir unangenehm war, fremde Sachen zu durchwühlen, schnappte ich mir den nächstbesten Beutel und schüttete den Inhalt auf den Boden. Zuerst sah ich nur einen Berg an Wäsche. Doch ganz unten linste mich ein Schülerausweis an. Auf dem Foto war ein Junge abgebildet, laut dem Ausweis 16 Jahre alt. Er hatte braune, wuschelige Haare, grüne Augen und ein verschmitztes Lächeln. Doch was mich am meisten aus der Bahn warf, war das Geburtsdatum. 2.12.2034. Ich taumelte zurück und ließ vor Schreck den Schülerausweis fallen. War er gefälscht? Oder war ich tatsächlich in der Zukunft gelandet? Ich musste mehr erfahren und wenn ich eines wusste, dann dass mir eine Sporthallenumkleide keine Fragen beantworten konnte. Ich musste Leute finden. Also machte ich mich auf den Weg. Die Halle musste ja irgendwo auch einen Eingang haben.

Ich stieß also die nächstbeste Tür auf und fand mich im Herrenklo wieder. Zum Glück war niemand darin. Das hätte komische Blicke gegeben. Ich musste kichern. Gleich daneben war eine zweite Tür. Neue Tür neues Glück. Diesmal war ich wirklich in der Sporthalle gelandet. Das Bild das sich vor mir auftat zeigte eine ganze Klasse, die jeweils zu Dritt zusammenstanden und einen Basketball in der Hand hielten. Ein Trainer faselte irgendwas von Körben und Anlauf aber mein Blick galt einzig und allein diesem Jungen von dem Schülerausweis. „Warum sind Sie so spät dran?“ Eine Stimme riss mich aus meiner Erstarrung. Der Sportlehrer kam auf mich zu. Mit einem wütenden Blick wie ein Rhinozeros stapfte er auf mich zu. „Ich…äh…ich…hatte Tafeldienst“, stotterte ich. „Aha, dann gehen Sie bitte zu Sydney und Riley dazu“. Er war anscheinend einer, der seine Schüler Siezte. Sehr unsympathisch. Und seltsame Namen hatten die Kids von morgen. Was allerdings besser war, Sydney war der Junge von dem Schülerausweis. Also ging ich zu den beiden hin. „Hallo“, sagte ich. Mehr fiel mir nicht ein mit Kindern aus der Zukunft zu reden. „Hi, ich bin Riley“, das Mädchen streckte mir die Hand entgegen, „Und das ist mein Zwillingsbruder Sydney“ Sydney runzelte die Stirn und betrachtete mich: „Weißt du was ich mich frage, liebe Unbekannte? Wer zum Geier bist du? In unsere Klasse gehst du nicht und das mit dem Tafeldienst ist auch nicht die Wahrheit, also wer bist du“ Mir wurde heiß. Was sollte ich darauf antworten? Die Wahrheit konnte ich nicht sagen. Sie würden mich für Verrückt halten. Wobei, vielleicht war ich das ja auch.

„Die Wahrheit ist“, begann ich. Da blies der Coach in seine Trillerpfeife und wies uns an, Körbe zu werfen. Wir gingen also zu einem Basketballkorb. „Also“, Riley sah mich fragend an, „Wer bist du?“ „Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich bin aus eurer Vergangenheit, also meiner Gegenwart in die Zukunft, also eure Gegenwart gereist“ „Hä?“, kam es von Sydney und er sah so dämlich dabei aus, dass Riley und ich in Gelächter ausbrachen. Nach einer Weile sah mich Riley an: „Du bist also aus der Vergangenheit, dann beweis es uns“ Sidney grinste und warf einen Korb: „Riley ist hochbegabt, sie will immer alles verstehen“ Ich seufzte: „Ich kann es nicht beweisen, ich habe weder meinen Ausweis dabei, noch irgendetwas anderes“ „Na gut, dann angenommen du bist aus der Vergangenheit“, Sydney warf den nächsten Korb, „Du hast uns immer noch nicht gesagt wie du heißt“ „Oh, sorry, ich habe mich noch nicht vorgestellt, mein Name ist Manuela Müller, ich bin 16 Jahre und komme aus München“

Sydney zuckte zusammen und versemmelte den ersten Korb. „Unsere Mutter hieß so mit Mädchennamen“, murmelte Riley. Ich sah in ihre braunen Augen und plötzlich begann ich am ganzen Leib zu zittern. Nein, das konnte nicht wahr sein. Rileys Augen sahen genau aus wie meine. Sydneys Lippen und Nase war 1 zu 1 identisch mit meiner. „Aus welchem Jahr kommst du?“, fragte Riley zögerlich. „2024“, sagte ich. Man sah, wie sie im Kopf rechnete. „Du bist“, fuhr sie fort. „Nein, Quatsch, das kann nicht sein“, unterbrach Sydney sie. „Doch, schau sie dir doch an, denk an die Kinderfotos von ihr“, Riley wurde immer lauter. „Psst“, machte Sydney, „Muss ja nicht die ganze Turnhalle hören“ „Ich bin eure Mutter“, Tränen stiegen mir in die Augen. Und ehe ich mich versah, lag mir Riley in den Armen. „Mum“, flüsterte sie und ihr langen braunen Locken kitzelten mich im Gesicht. Sydney stand da, die Arme hingen schlapp neben dem Körper und sah irritiert zwischen mir und seiner Schwester hin und her. „Aber wenn du unsere Mutter bist“, begann er, kennst du dann unseren Papa schon?“ Ich zuckte zusammen, daran hatte ich noch gar nicht gedacht. „Quatsch, mit 16 kannten sie sich doch noch gar nicht“, Riley lies mich los. In ihren braunen Augen glitzerten Tränen. Sydney trat näher an mich ran und dann nahm er mich auch in den Arm: „Hi Mama, schön dich kennen zu lernen“

„Ihr sollt Körbe werfen, nicht knuddeln“, kam die schroffe Stimme des Sportlehrers. „Er ist auch nicht gerade der Netteste oder?“; ich wischte mir die Tränen aus den Augen. „Oh Gott, nein, er ist ein richtiger Tyrann“, Sydney grinste verschmitzt, „Aber hin und wieder leg ich mich mit ihm an. So als Klassensprecher muss man das“ „Sydney ist einer der beliebtesten Menschen die ich kenne“, sagte Riley. Mir schwirrte immer noch der Kopf. „Ist das eure letzte Stunde?“ Die beiden nickten. „Willst du noch etwas Zeit mit uns verbringen?“, fragte Sydney. „Gerne, ich will ja wissen wie die Zukunft so ist“

Nachdem wir die Turnhalle verlassen hatten gingen wir nebeneinander in Richtung Bushaltestelle. Sydney hatte einen Arm um mich gelegt, Riley hakte sich bei mir unter und fragte: „Was willst du denn über die Zukunft wissen?“ „Naja, wie geht’s es mir?“ Sydney wurde neben mir ganz steif und Riley presste die Lippen zusammen. „Ok, was ist los?“, ich blieb stehen und sah sie abwechselnd an. „Du bist“, Sydney atmete tief durch; „Naja, sagen wir es, wie es ist, du bist tot“ „Was?!?“, entfuhr es mir. „Du bist gestorben als wir beide 2 Jahre alt waren. Ein Autounfall“, Riley rieb sich über die Stirn. Plötzlich kam mir alles so falsch vor. Die Sonne am Himmel, das Gezwitscher der Vögel und das Lachen der Schulkinder, die aus dem Gebäude strömten. Sydney drückte mich noch fester an sich: „Deswegen sind wir ja so froh, dich zu sehen. Weil wir keine Erinnerungen mehr an dich haben“ Ich schluckte. Moment mal. „Syd, ich habe eine Idee“, entfuhr es mir. „Das ist gut aber bitte nenn mich nicht wie das Faultier aus Ice Age“, Sydney zog eine Augenbraue hoch. „Hallo“, rief Riley und wedelte mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum, „Worum geht es hier?“ „Ich habe eine Zeitreise gemacht oder?“, fragte ich. Beide nickten. „Ach ich verstehe“, Rileys Gesicht erhellte sich, „Du willst in die Vergangenheit reisen und dich vor dem Unfall warnen“ Jetzt verstand auch Sydney: „Der Plan ist genial. Nur wie willst du das anstellen?“ „Ich brauche diesen Fernsehsender wieder“, murmelte ich. „Was“, fragte Riley. „Ich bin hergekommen, indem ich einen Fernsehsender gefunden habe, in dem sich lauter bunte Farben zu einem Strudel zusammengetan haben“ „Ok, dann müssen wir den Fernsehsender finden“, schlussfolgerte Riley während Sydney schon sein Handy zückte.

Die nächste Stunde verbrachten wir damit alle Sender dieser Welt durchzusehen. Als wir knapp davor waren aufzugeben, tat sich endlich der Farbstrudel auf. „Das ist er“, schrie ich. Schnell hielt mir Riley den Mund zu. „Jetzt konzentrier dich auf den Unfall“, sagte Sydney ruhig. „Ich weiß doch gar nicht, wie der ablief“ „Egal, denk einfach ganz fest an das, was in deinem Kopf für ein Bild entsteht“ Ich dachte also ganz fest an eine Autobahn und hoffte, dass der Unfall auf einer Autobahn geschehen war. Ich spürte wie mir schwindelig wurde und mich die nächste Zeitreise davontrug. „Machts gut“, richtete ich noch 2 Worte an meine zukünftigen Kinder und dann war ich weg.

Ich öffnete wieder die Augen und fand mich zwischen den Mittelleitplanken einer Autobahn wieder. Na klasse. Und woher sollte ich jetzt wissen welches Auto meins war? Vor mir tat sich das Ende eines Staus auf. Vermutlich fuhr mir einer am Stauende auf oder etwas ganz anderes war der Fall. Ich raufte mir die Haare. Und vor allem, was sollte ich jetzt tun? Vor mir hielt ein Auto am Stauende und darin saß…ich. Nur etwas älter und meine Haare waren länger. Und von hinten kam ein LKW verdammt schnell angeschossen. Und dann handelte ich wie besessen. Ich riss die Autotür auf und schrie mein zukünftiges Ich an: „Steig aus oder du wirst sterben“ „Was?“ Verwirrt sah ich mich an. Wir hatten keine Zeit verdammt. Ich sprang nach vorne und löste ihren Gurt. „Steig aus“, brüllte ich. Ich sah mich an und stieg tatsächlich aus dem Auto. „Komm schnell“; ich reichte mir die Hand und zog mich über die Leitplanke. Dann gab es einen fürchterlichen Knall und der LKW rammte das Auto. Mein späteres Ich war wie erstarrt und betrachtete ihr Auto, das zusammengedrückt war wie eine Blechdose. „Du hast mir das Leben gerettet“ Ich nickte nur.

Und jetzt musste ich verschwinden. Es war gefährlich, wenn ich mich mit mir selbst unterhielt. Das könnte die ganze Zukunft verändern. Also begann ich zu laufen, einfach zwischen den Leitplanken entlang nach hinten. Im Laufen zog ich mein Handy heraus und durchsuchte die Fernsehsender. Zum Glück fand ich die Farben sehr schnell. Ich dachte also ganz fest an meine Gegenwart, als ich auf der Couch gesessen war und durch die Programme gezappt hatte. Dann fand ich mich auf dem Sofa zu Hause wieder. Ich atmete stoßweiße ein und aus. Ob alles gut gegangen war? Lebte ich in der Zukunft noch? Na um diese Frage beantworten zu können musste ich mich wohl bis in knapp 10 Jahren gedulden, bis ich so alt war und sich der Unfall ereignen würde. Wobei, Riley und Sydney würde ich schon vermissen.
 



 
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