Weihnachten allein?

Lia.schdr

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Weihnachten allein?

“Und dein scheiß Weihnachten kannst du mit deiner scheiß Familie allein feiern!“ schreie ich hinterher. Mit einem lauten Knall ziehe ich die Tür hinter mir zu. Wutentbrannt stolpere ich die Treppen hinunter, mit jeder Stufe weiter weg von der Person, die mir vor einer Stunde noch ihre Liebe versprochen hatte.
‚Das war das letzte Mal‘ schwöre ich mir, wohlwissend, dass ich nächste Woche wieder bei ihm auf der Matte stehen werde. Mit einem Lächeln im Gesicht. „Es war meine Schuld“, werde ich sagen, „es war meine Schuld, dass die Diskussion so aus dem Ruder gelaufen ist. Es war meine Schuld, dass du so ausgerastet bist“.
Warum? Weil ich es nicht kann, das Alleinesein.

Umzingelt von Holzbuden und Menschenmassen finde ich mich auf der Straße wieder. Weihnachtsmarkt. Verzweifelt suche ich nach einem Ausweg aus dem Gedränge, aus der vorweihnachtlichen Freude, die ich doch eigentlich auch verspüren sollte. Verdammt, denke ich mir, welcher Verrückte lebt freiwillig in der Innenstadt und tut sich dieses Geplärre von Lachen und Kreischen, schlimmer noch, Weihnachtsmusik an?

Gedanken müssen sie lesen können, diese Musikboxen, denn prompt schallt es lauthals über den Marktplatz - „Last Christmas“ natürlich. Welchen Sinn für Ironie der Zufall doch hat! Als hätte „Wham!“ mit nichts besserem aufkommen können, als einem trostlosen Liebeslied, das mich nun doch dazu verleitet, näher an die bunt beleuchteten Buden heranzutreten. Zum Glühweinstand, versteht sich.

„Fünf Euro“ schreit die Frau mir entgegen, vielleicht säuselt sie es auch nur, aber wer kennt da schon den Unterschied?
Ich leg ihn also hin, den kostbaren Schein, und tausche ihn gegen einen unverschämt teuren Billigwein ein, in der Hoffnung, meine Nerven beruhigen zu können.

Ob ich nicht den frisch gemahlenen Zimt kaufen will, ruft mir der korpulente Mann am Gewürzestand zu. Nein, will ich nicht.
Und bevor mir einer der Charity Mitarbeiter weiter vorne, von dem Leid in anderen Ländern erzählen will, davon schwärmend, dass die Weihnachtszeit die beste Möglichkeit ist, eine gute Tat zu tun, fliehe ich.

Als ich mich dann so durch das Menschengewühl schiebe, höre ich eine leise Stimme sagen, dass es nicht unmöglich ist. Unabhängig zu sein. Frei. Allein.

Vielleicht, überlege ich weiter, ist es aber auch nur der Alkohol der spricht.
 



 
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