Tanka: Monte Verità

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Geschrieben nach einer Mittagsrast bei der Casa Anatta auf dem Monte Verità. Die Villa hoch über dem Lago Maggiore war im frühen 20. Jahrhundert das Zentrum einer legendären Kolonie von Künstlern, Aussteigern, Utopisten, Sinnsuchern und Lebensreformern.

verstummt ist das haus
das einst dem grossen aufbruch
eine heimstatt war

doch des tanzmeisters schritte
glühen noch immer im gras
 
Zuletzt bearbeitet:

wiesner

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Hallo Berthold,

ein schön geschriebenes Tanka in alter Silbenordnung. Sein Problem: Es kann nicht für sich stehen, braucht dringend umfängliche Erklärungen. So etwas ist einem Tanka fremd (auch dem Haiku), beide erzählen selbst die Geschichte. Wenn ich alle Vorgaben (hier kursiv gesetzt) wegließe, was wäre der 'große Aufbruch', welche Rolle spielte ein 'Tanzmeister' ?
Die Trennung des unteren Stollens vom oberen unterstellt eigentlich ein entfernteres Gegenüber beider Ebenen. Hier leitet das adverbiale 'doch' den unteren Stollen ein und bindet ihn zugleich an den oberen, eine Zäsur wäre wohl nicht nötig.

...schritte/glühen noch immer im gras

Sehr eindrucksvoll!

Gruß
Béla
 

petrasmiles

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Ich finde Dich da ein bisschen streng, Béla, man bekommt den Eindruck, dass er nicht allein stehen könnte, weil eine Erklärung vorangestellt ist.
Wenn man nur den Tanka liest, erschließt sich der Zauber eines alten Gemäuers, das noch ein leises Beben ausstrahlt. Dann weiß man zwar nicht den konkreten Ort, aber das tut dem Zauber keinen Abbruch.
Ich habe die einleitenden Worte auf den Titel bezogen, damit man ihn entschlüsseln kann, nicht auf das Gedicht.

Liebe Grüße
Petra
 

wiesner

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Ich habe die einleitenden Worte auf den Titel bezogen
Tanka, ebenso Haiku, haben keinen Titel. Dass hier in der Lupe welche verwendet werden, hat wohl technische Gründe. Näheres dazu kann der Redakteur sagen.
Strenge? Ich habe von einem 'schön geschriebenen' Text gesprochen und eine Zeile fand ich sogar 'sehr eindrucksvoll'.

Gruß
Béla
 

petrasmiles

Mitglied
Ich meinte 'streng' gar nicht persönlich, sondern in der Auslegung, weiß ich doch, dass Du den Text gut fandest ... aber was denkst Du denn zu meiner Annahme, dass man - ohne den einleitenden Satz - diesen Text durchaus als allein stehend lesen kann?

LG Petra
 
Lieber Béla
Liebe Petra

Danke für eure Kommentare, die ich mit Interesse gelesen habe. Ja, Haiku und Tanka haben traditionell weder Titel noch erläuternden Kontext. Mein Titel ist vorab dem elektronischen "Formular" geschuldet, das vollständig auszufüllen ich mich irgendwie gehalten sah. Und zu meinen erläuternden Zeilen liess ich mich von Matsuo Basho inspirieren, der ja einige seiner Haikus in seinen Prosa-Reisebericht "Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland" eingebettet hat. Aber zugegeben: Sie haben alle Eigenwert und kommen auch ohne den Kontext aus - die allermeisten jedenfalls. Im Übrigen ist dies bisher mein eiziges Tanka mit einleitender Kurzprosa - ich freue mich darauf, demnächst einen "schmucklosen" Fünfzeiler zu präsentieren!

Herzlich
Bertold
 

mondnein

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Geschrieben nach einer Mittagsrast bei der Casa Anatta auf dem Monte Verità. Die Villa hoch über dem Lago Maggiore war im frühen 20. Jahrhundert das Zentrum einer legendären Kolonie von Künstlern, Aussteigern, Utopisten, Sinnsuchern und Lebensreformern.
nett.
Wie kam man eigentlich in so eine Villa rein? Vitamin B?

Das waren noch Zeiten!, wo Bilder nicht so tief unter Wert verscherbelt wurden wie bei "Bares für Rares" und Gedichte noch gedruckt wurden, selbst wenn sie gut und originell waren. Aber wer leistete es sich, dort zu leben? wer von den heute uns bekannten Künstlern? alle namenlos und verschollen? Das wäre realistischer als so eine längst zugewachsene Tanzmeisterspur im Golfrasen.
 

fee_reloaded

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Sehr schön, lieber Bertold Zähring!


Manche Orte haben diesen gewissen Nachhall...ich kenne das auch und du hast diese "sprechende Stille" toll einfangen!
Ein wenig hätte ich noch verdichtet....aber das ist natürlich Geschmackssache.

verstummt das haus
das einst dem grossen aufbruch
heimstatt war

des tanzmeisters schritte
glühen noch im gras

Sehr gerne gelesen und nachgespürt!
LG,
fee
 



 
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