Schranke

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Matula

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Peter sagt, dass er Lukas "konsultieren" muss, weil das neue Programm schon wieder Probleme macht. Zum dritten Mal in dieser Woche. Ich bin irritiert. Er geht über den Gang zum Lift und schwenkt die Hüften. Das tut er nur, wenn er auf dem Weg zu Lukas ist. Ich würde ihn gern zurückhalten, aber dann müsste ich ihm sagen, dass sich der Kollege von seinen Besuchen belästigt fühlt und bei seinem Vorgesetzten beschwert, der wiederum von mir erwartet, dass ich Peter zur Raison bringe.

Wenn er wieder da ist - nie vor einer halben Stunde -, ist er animiert und herablassend. "Ich werde heute früher gehen. Du wolltest ja ohnehin länger bleiben." Ich bestätige und lasse ihn ziehen. Manchmal ist er so aufgekratzt, dass er einen Streit vom Zaun bricht. Dann geht es um meine Kleinlichkeit bei der Spesenverrechnung, meinen Gerechtigkeitsfimmel bei der Urlaubseinteilung und die langweiligen Abteilungsbesprechungen.

Peter hatte, wie man so schön sagt, eine gute Kinderstube. Ich ahne, dass er Lukas nur verschämt Avancen macht. Trotzdem spürt der blasse junge Techniker ganz gut, worum es geht. Statt Peter sachte abzuwehren, klagt er über die Einschränkungen, die ihm seine neue Familie abverlangt. Wenn er nur könnte, wie er wollte. Peter hört das gern und erzählt mir manchmal davon, falls ich mir Gedanken mache, worüber er und Lukas reden, wenn das Technische geklärt ist. Er liebt den Tratsch. Am meisten über Kolleginnen, die gern lachen und sich wichtig machen. Die Frauen sind ihm widerlich, nicht nur ihr klaffendes Geschlecht.

Mein Kollege, der Vorgesetzte des blassen jungen Technikers, sagt: "Lukas hat viel zu tun und der Peter hockt dauernd bei ihm herum. Kannst du das nicht abstellen?" Ich weiß nicht, was ich antworten soll und schiebe die Schuld auf die Unzulänglichkeiten des neuen Programms.
"Ja, stimmt schon, es ist Mist, aber Peter sollte sich ein bisschen mehr damit beschäftigen. Kannst du ihm nicht helfen?"
"Ich bin auch nicht so sattelfest, außerdem sind sie befreundet."
"Befreundet? Wie kommst du darauf? Lukas sagt, dass Peter ihn belagert und ihm die Zeit stiehlt. Scheint eine einseitige Freundschaft zu sein."
Er malt Anführungsstriche in die Luft und grinst anzüglich.
"Dann muss er ihn eben rauswerfen. Das kann ja nicht so schwer sein!"
"Er will Peters Gefühle nicht verletzen. Er meint, du als seine Vorgesetzte, hast sicher den besseren Draht zu ihm."

Wäre der blasse junge Techniker eine Technikerin, müsste ich intervenieren. Manche Kolleginnen fühlen sich schnell belästigt und daraus kann eine große Sache werden. Alles wäre einfacher, weil es keine Geheimnisse gäbe. Aber hier bin ich ratlos und parteiisch, weiß nicht, wer da wen an der Leine hat. Nichts an Lukas ist reizvoll oder interessant in meinen Augen. Er kann von Glück reden, dass er eine Frau gefunden hat. Eine Italienerin, wie man hört, die sehr erfolgreich ist und mehr Geld verdient als er. Peter erwähnt, dass sie demnächst wieder arbeiten gehen will und Lukas womöglich in Väter-Karenz. Ich sehe, dass ihm das Sorgen macht. Er hat schon öfter ein Liebesobjekt an eine Familie verloren. Mehr streng als tröstend sage ich: "Niemand ist unersetzlich! Bei den Technikern gibt es genug gute Leute."

Manchmal scheint mir, dass Peter über seine Gefühle reden möchte, aber er traut niemandem, mir wohl am wenigsten. Ein Anderer soll ihm sagen, woran er ist. Der blasse junge Techniker hält ihn schon lange hin. Davor gab es Michael, einen blonden Engel, der ihn auf Touren brachte. Peter schenkte ihm Stücke aus seiner Garderobe, die nur vom Feinsten ist. Michael trug sie in der Arbeit, wahrscheinlich gegen die Vereinbarung. Mir hat man berichtet, dass er grinsend gesagt haben soll, Peter habe ihm die Kleider wohl als "Morgengabe" zugedacht.

Damals wollte ich in einem Mitarbeitergespräch wissen, warum er seine Büro-Freundschaften nicht ins Private verlagerte, weil er so oft nicht an seinem Schreibtisch anzutreffen sei. Da ging er zum Angriff über und hielt mir vor, den Kontakt zu anderen Abteilungen der Firma zu vernachlässigen, wogegen er sich um einen besseren Austausch und mehr Verständnis für die kaufmännischen und technischen Fachbereiche bemühe. Ich lenkte ein und so logen wir aneinander vorbei.

In einigen Tagen wird es wieder ein Mitarbeitergespräch geben. Ich nehme mir vor, ihm zu sagen: Ich weiß, dass du schwul bist. Reiß dich bitte trotzdem zusammen. Siehst du nicht, dass du den falschen Baum anbellst? - Aber wahrscheinlich werde ich nichts dergleichen sagen. Es gibt Dinge, die nicht besser werden, wenn man über sie spricht. Es ist nicht immer gut, eine verschlossene Tür aufzureißen oder über eine Schranke zu springen, vor allem, wenn der eine sowenig wie der andere weiß, was eigentlich Sache ist.
 

Bo-ehd

Mitglied
Wie aus dem richtigen Leben, klasse geschrieben, und ja, manchmal ist es besser, mal die Augen zu schließen und die Klappe zu halten. Die Politik machts täglich vor.
 

petrasmiles

Mitglied
Mhm, ja, das kommt erst einmal lebensecht rüber.
Aber schwul hin, Mitarbeitergespräche und sexuelle Belästigung her, das sind Probleme, die man nur 'woke' erklären kann.

Womit ich hadere:
1. Ich finde es schwierig, als Ausgangspunkt das Verhalten des 'tuntigen' Schwulen zu nehmen und seine Verbohrtheit - vielleicht haben sich da die Uhren weiter gedreht, aber mir ist aus meiner langjährigen beruflichen Laufbahn dieses Verhalten nicht bekannt
2. Die allseitige Feigheit. Wenn ich die Vorgesetzte wäre, hätte ich NULL Problem damit, meinen Schutzbefohlenen zu sagen, dass - egal, was wirklich bei den Treffen passiert und wie sich der Besuchte ihm gegenüber verhält - dieser sich in Richtung seiner Vorgesetzen abfällig äußert und sich als belästigt herausredet. Es wäre also in seinem eigenen Interesse, diesem Gerede aus dem Weg zu gehen.
3. Ist man denn als woke Vorgesetzte nur noch Moderatorin? Darf man keine Entscheidungen treffen - im Interesse der Firma und der Mitarbeiter - die dann auch befolgt werden? Und muss man sich bei den Vorgaben diese dumme Gegenrede anhören - und zieht sich dann zurück?? Wenn man das macht, wird man nicht mehr ernst genommen! Wenn man merkt, dass jemand einem auf der Nase herumtanzen will, dann muss man das sofort stoppen und die Grenzen aufzeigen. Man muss führen, sonst hat man in der Position nichts zu suchen. Führen heißt nicht nur, den Mitarbeiter zu bewegen, seine Spaziergänge zu unterlassen, sondern auch auf der anderen Seite sich dafür einzusetzen, dass diese Software endlich funktioniert und jemand ein vernüftiges How To' schreibt.
4. Was mich als typisches Verhaltensmuster aufregt - und durchaus realitisch bei mir ankommt - das Wegducken der Männer und Schieben des Unangenehmen auf eine Frau, die ja nicht nur Brüste hat und besser Kaffee kochen kann, sondern ein Gen mehr zur Konfliktbewältigung mitbekam?!? Auch dagegen muss man sich wehren.
5. Die Vorgesetzte sollte eben nicht auf der persönlichen Ebene kommunizieren, sondern aus der Sicht der Firma. Sie braucht sein Schwulsein überhaupt nicht thematisieren, denn das wird ja dann, ob man will oder nicht - ungerechtfertigterweise - zum Problem hochstilisiert. Es ist das Verhalten, dass man als Vorgesetzte kritisieren darf, indem er sich von seinem Arbeitsplatz entfernt, ohne dass es einen Nutzen bringt, und indem der Betriebsfrieden gestört wird, wenn es Beschwerden gibt. Oder sind die Leute heute nicht mehr zum Arbeiten auf der Arbeit?

Leider lässt die Bereitschaft - und damit auch die Fähigkeit - unangenehme Sachen anzupacken, immer mehr nach. Ich erlebe es selbst, dass die Tendenz vorherrscht, es sich bloß mit niemandem zu verderben oder wo anzuecken. Ist das Betriebsklima dadurch besser geworden?

Ich erlebe Erleichterung, wenn ich klare Sprache anwende - und auch kritisiere, wenn auch vorsichtig und möglichst integrativ - aber ich bin ja auch ein Dinosaurier.

Das hat jetzt gar nicht mehr so viel mit Deinem Text zu tun, aber irgendwie doch.

Liebe Grüße
Petra
 

Matula

Mitglied
Guten Abend Bo-ehd,
guten Abend Petra,

danke für Eure Kommentare und die gute Bewertung.
Ja, "wie aus dem richtigen Leben", aber ohne Anspruch auf Verallgemeinerung.
Es ist, wie Du richtig feststellst, Petra, eine Geschichte übers Versagen. Im Vordergrund steht aber nicht die Minderleistung des P., sondern die Beschwerde des L., was ich vielleicht nicht gut genug herausgearbeitet habe. Damit stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt ein Vorgesetzter eingreifen muss, wenn sich ein Mitarbeiter/eine Mitarbeiterin belästigt fühlt bzw ein Kollege/eine Kollegin durch einen seiner Mitarbeiter. Ist wahrscheinlich eine etwas entlegene Frage, die kaum jemanden interessieren dürfte. Dass offene Konfrontationen in zunehmendem Maße - und nicht nur im Berufsleben - vermieden werden, sehe ich auch so.

Herzliche Grüße,
Matula
 



 
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