Romantik gehört verboten

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Hera Klit

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Wie kann man an einer Rose riechen,
wenn Gaza in Trümmern liegt und Geiseln leiden?

Was ändert der bunte Schmetterling,
wenn Kiew brennt?

Dürfen wir träumen, solange
das Klima leidet?

Romantik ist heute mehr denn je,
ein Angriff auf den gesunden Menschenverstand.

Ich schaue aus meinem Fenster und
sehe grüne Bäume und
Vögel die fliegen, als herrsche heile Welt.

Ein verengter Blick.

Die Nachrichten sind auch heute mehr als düster.
Der Dax schüttelt sich und die Wirtschaft lahmt.

Ich sitze auf meinem alten Sofa und lese
irgendeine Erzählung von Thomas Mann
Ich bin mal kurz nicht hier.
Am helllichten Tag.

Niemand darf wissen, wie verantwortungslos ich bin.
 

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Mitglied
Ein starker Text, liebe Hera,

den ich mit einem stark sarkastischen und natürlich auch kritischen Unterton lese.

Ich schaue aus meinem Fenster und
sehe grüne Bäume und
Vögel die fliegen, als herrsche heile Welt.

Ein verengter Blick.

Die Nachrichten sind auch heute mehr als düster.
Die heile Welt...der verengte Blick...wie gut, dass die Nachrichten uns da in unserer Engstirnigkeit korrigieren und uns die große weite Welt mit all den gewichtigen schlimmen Ereignissen und Zuständen in Weitwinkelmanier vor Augen halten.

Sie berichten aber nicht von dem Obdachlosen, der an der Straßenecke gegenüber dem Kaffeehaus schläft und sitzt, wo viele Wiener - mich eingeschlossen - sich gerne einen Eiskaffee gönnen. Sie berichten nicht von der Nachbarin auf Stiege 4, die man ab und zu laut weinen hört. Nicht von dem Schulkind, das sich im Zimmer verkriecht, weil es von allen gemobbt wird. Die sind nicht (ge)wichtig genug, ums in die Nachrichten zu schaffen (oder genauer gesagt: sie schaffen es erst, wenn einer von denen auf tragische Weise den Tod gefunden hat).

Es wird immer schwieriger, sich da als Individuum auf seinem winzigen Fleckchen auf der Welt noch richtig zu "verorten" und sich ein Stückchen Glück - und auch Romantik - zuzugestehen.
Wer in seiner "be-engten heilen Welt" glücklich ist, kann schließlich nicht zugleich "woke" sein, oder?
Man geht nicht damit hausieren, gerade glücklich zu sein. Vielleicht wäre aber genau das die gesunde GegenErgänzungsperspektive, die allerorts fehlt (im Sinne von: es gibt etwas, wofür es sich lohnt, sich im Guter-Mensch-Sein anzustrengen...jetzt arg vereinfacht ausgedrückt).
Der Schmetterling ist hier. Der Krieg weit weg. Was für ein ketzerischer Gedanke!!! Geht gar nicht! Aber tatsächlich denkt ja keiner so, nur, weil er selbst gerade sein Leben genießt.
So aber, kommt mir vor, wird das oft wahrgenommen und das hieße ja im Umkehrschluss: egal wo auf der Welt gerade Krieg tobt und wie weit weg - du darfst deshalb keine schönen Momente genießen, denn das würde ja das Leid ignorieren....ich denke, die Absurdität wird klar...

Das zeigt dein Text sehr schön auf! Das alte Sofa, ein gutes Buch und eine Auszeit mit Blick nach innen. Selbstfürsorge vom Feinsten.
Sie sorgt auch dafür, dass wir nicht irgendwann austicken und so selbst zum Leid "auf der Welt" beitragen.


Ein wenig erinnern mich deine Zeilen auch an meine Großtante, die immer wieder depressive Phasen hatte. Da war das ganze Leid "da draußen", das die Nachrichten zu ihr ins Wohnzimmer getragen haben, ab einem gewissen Punkt so übermächtig präsent, dass sie auch die grünen Bäume und Vögel nicht mehr wahrnehmen konnte und sich schuldig fühlte, es "ja eigentlich gut" zu haben. Und sie fühlte sich definitiv verantwortungslos angesichts "all des Unglücks all der armen Menschen da draußen".


Sehr gerne gelesen!
LG,
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EDIT: die Erfahrung hat mich gelehrt, dass es immer gut ist, deutlich zu machen, wenn ich etwas sarkastisch oder ironisch meine. Das ist hier natürlich in weiten Teilen der Fall.
 
Zuletzt bearbeitet:

petrasmiles

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Liebe Hera,

ja, das ist die innere Zerrissenheit, die wir auszuhalten haben. Nicht nur, weil die Medien uns jede Katastrophe frei Haus liefern, auch, weil sie in einen Alarmmodus verfallen sind. Vor allem aber, weil wir WISSEN, was gerade abgeht und wir uns nicht geschützt glauben können. Es ist nicht nur Mitgefühl mit anderen, es ist auch der zunehmend fehlende Boden unter den eigenen Füßen.
Ich habe manchmal das Gefühl, als sei ich aus einem Traum aufgewacht - obwohl das mal meine Normalität war. Im Grunde läuft alles und man muss nur ein paar Themen im Auge behalten (und zu meckern gab es ja immer), aber mit ein bisschen Mühe und gutem Willen wird es schon.
Das Gefühl ist weg; statt dessen empfinde ich mich in einer Abwärtsspirale.
Ja, auch angesichts dieser EM-Jubeleien, man fragt sich, wie kann das sein.
Aber das ist eben eine Stärke des Menschen; er will leben, er hat nur das eine und morgen kann es vorbei sein.
Also lass Deine Protagonistin vom Haken und schicke sie ins Getümmel oder wo auch immer sie hin will - Erzählungen von Thomas Mann sind Höchststrafe, das braucht man nicht noch obendrauf!

Ein richtig guter Text!

Liebe Grüße
Petra
 
Was haben die Leute nur im 30- oder gar 100-jährigem Krieg gemacht - nie gelacht, nie gejubelt, nie an einer Rose gerochen? 30 oder 100 Jahre lang nur geheult?

Mich persönlich ärgert es, wenn versucht wird, den Menschen Schuldgefühle einzureden für Dinge, an denen sie nichts ändern können und an denen sie auch keine Schuld haben.

Irgendwie glaube ich hier aber, dass Heras letzter Satz


Niemand darf wissen, wie verantwortungslos ich bin.
missverstanden wurde.
Es geht wohl eher darum, dass das LI sich etwas erlaubt und drüber nachdenkt, dass es damit anecken könnte. Nicht darüber, ob man oben genannte Dinge „darf".
 

Hera Klit

Mitglied
Was haben die Leute nur im 30- oder gar 100-jährigem Krieg gemacht - nie gelacht, nie gejubelt, nie an einer Rose gerochen? 30 oder 100 Jahre lang nur geheult?

Mich persönlich ärgert es, wenn versucht wird, den Menschen Schuldgefühle einzureden für Dinge, an denen sie nichts ändern können und an denen sie auch keine Schuld haben.

Irgendwie glaube ich hier aber, dass Heras letzter Satz




missverstanden wurde.
Es geht wohl eher darum, dass das LI sich etwas erlaubt und drüber nachdenkt, dass es damit anecken könnte. Nicht darüber, ob man oben genannte Dinge „darf".
Ja, das ist sehr wahrscheinlich.

Liebe Grüße
Hera
 



 
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