Kilin Eberschlecht 1

Hörnchen

Mitglied
Tief im Gebirge wohnen die Zwerge. Sie scheren sich nicht um dich und mich, sondern leben tief unter Stein begraben, unbehelligt von unserer Welt. Die Zwerge graben in aller Ruhe Stollen, und in die Stollen Städte. In einem dieser Stollen, wenige Meilen von der Zwergenstadt Beorn entfernt, da lebte ein Zwerg, der sich in seinen Gebaren von den anderen unterschied. Kilin war sein Name, und Eberschlecht sein zweiter. Sein ganzes Leben schon wohnte er in seinem ganze eigenen Stollen, seit er aus dem seiner Eltern weggezogen war. Er hatte ein paar Wochen in der Stadt gewohnt, aber das Leben unter so vielen Zwergen gefiel ihm ganz und gar nicht. Ein Gedränge, Gezeter, Getrampel auf den Straßen, dass es nicht mehr auszuhalten war. Also hatte er an eine Wand nahe der Stadt angefangen, seinen eigenen Gang in den Felsen zu treiben. Und so hatte er sich über die Jahre immer weiter von der Stadt entfernt und mied diese so gut es eben ging. Herr Eberschlecht, so nannte er sich zumeist selbst, weil er seinen Vornamen so selten benutzte, trug Stiefel und Handschuhe aus Leder, Beinkleider und Jacke waren aus getrocknetem Pilzgeflecht gewoben. Leder ist vielleicht nicht ganz der richtige Begriff, denn um genau zu sein, war das Material Haut von den Steinfressern. Die Steinfresser sind die besten Freunde der Zwerge, längliche Kreaturen, die, sobald man sie lässt, augenblicklich anfangen, sich in die Gänge zu graben und etwa faustgroße Löcher zu hinterlassen. Sie fressen sich durch den ganzen Berg bis zur Erdoberfläche. Das ist für die Zwerge freilich sehr praktisch, denn durch die Löcher strömt frische Luft in die Stollen. Sie essen alles, was ihnen im Weg ist, und die Haut der Steinfresser passt sich ihrer Hauptnahrung an. Auch das nützte den Zwergen ungemein, denn sie konnten die harten Panzer der Steinfresser für ihre eigene Ausrüstung benutzen, sobald sich die Kreaturen gehäutet hatten. Die Handschuhe und Stiefel des Herrn Eberschlechts mochten sich zunächst weich und bequem anfühlen, doch kein fallender Steinbrocken vermochte seine schwieligen Hände zu zerquetschen, kein falsch gesetzter Hieb mit der Spitzhacke seine Füße verletzen. Herr Eberschlecht hatte keine Freunde unter den Zwergen, aber dafür drei Steinfresser, die er stets in einer Tasche aus Pilzgeflecht bei sich trug. Sie hieß Granidon, Gwendolyn und Folpert. Zwei von ihnen waren ganz gewöhnliche Steinfresser, der dritte und größte jedoch, Folpert, trug einen Panzer, der hart wie Metall war. Der Zwerg hatte ihn mit Eisen gefüttert.

Der Tag, an dem unsere Geschichte beginnt, war für den Herrn Eberschlecht ein Tag wie jeder andere auch. Er stand griesgrämig gelaunt auf und begann, sein rotes, langes Haupthaar zu kämmen. Danach stutzte er seinen ebenfalls roten Bart mit einer Schere. Herr Eberschlecht hatte oft über einen langen Bart nachgedacht, wie er bei den Zwergen üblich ist. Die Idee hatte er allerdings stets verworfen. Pah, dachte er sich auch heute. Ein Bart? Nein nein. Mit dem habe ich mehr Scherereien als mir lieb ist. Und beim Graben stört er bestimmt auch. Nein, ich brauche bestimmt keinen langen Bart. Licht spendeten ihm bei seinem morgendlichen Ritual nur drei Lampen, die er in seiner einsamen Schlafhöhle aufgehängt hatte. Sie waren mit fluoreszierenden Pilzen gefüllt, und leuchteten in einem sanften Blauton vor sich hin. Er hasste Pilze. Sie waren das einzige, dass er in seinem Leben gegessen hatte, und das Einzige, was neben verschiedenen Moosen in den dunklen Höhlen prächtig gedieh. Er trank einen Schluck Wasser aus einer Schale, die er vor einigen Stunden aufgestellt hatte. Von den Höhlenwänden tropfte an manchen Stellen unablässig das Wasser herab. Dies war für Herrn Eberschlecht allerdings sehr hilfreich, denn so musste er nicht extra in die Stadt, um welches zu besorgen.

Er flocht seine Haare zu einem Zopf, zog seine Stiefel und Handschuhe an und griff nach der Spitzhacke, die in der Ecke angelehnt war. Er seufzte schwer. Auch heute würde es ein Tag wie jeder andere werden. Den ganzen Tag würde er im Stollen verbringen und graben. Er war dabei, neuen Platz zu schaffen, um mehr Pilze anbauen zu können. Denn auch wenn er Pilze verabscheute, so waren sie doch seine einzige Nahrungsquelle. Er nahm eine der Laternen von der Wand, legte sich die Spitzhacke über die Schulter und stapfte miesmutig los. In den Gängen war es dunkel und feucht. Abgesehen von Herrn Eberschlechts Schritten war nichts zu hören. Diese hallten von den Wänden wider. Er war bereits fünf Minuten gegangen als er abrupt stehen blieb. „Die Steinfresser! Ich habe die Steinfresser vergessen!“ Er seufzte noch einmal. Das war zu erwarten gewesen. Als er sich umdrehte, fiel ein Tropfen Wasser auf seine Knubbelnase. Auch das war zu erwarten gewesen. Auf dem Weg zurück lief er einmal in einen falschen Gang. Herr Eberschlecht war für einen Zwerg tolpatschiger, als man es wohl erwarten würde. Er hatte einmal seine Hose vergessen, als er zur Arbeit ging. Diese Tollpatschigkeit trug sehr oft zu seinem schlechten Gemütszustand bei, auch wenn er sich oft einredete, einfach noch müde gewesen zu sein. Der Zwerg nahm die Tasche mit den Steinfressern und vergewisserte sich, dass sie alle noch da waren. Sie schienen gerade ein Nickerchen zu machen und knackten manchmal leise, als würde man Stein auf Stein schlagen. Bei Ihrem Anblick hellte sich seine finstere Miene etwas auf. Er stapfte wieder in den Gang hinein und murmelte, nicht mehr ganz so griesgrämig, in seinen Bart hinein.

Ein Paar Stunden später lehnte er seine Spitzhacke für eine kurze Pause an einen grauen Felsen und ließ Granidon frei. Dieser knackte freudig, wuselte kurz um ihn herum. Er hob ihn auf und hielt ihn zur Stollendecke hin, sodass er sich von dort in den Stein fressen konnte. Er würde Granidon erst in ein paar Tagen wiedersehen, wenn dieser zurückgekehrt war, pappsatt und vermutlich auf dem Stollenboden schlafend. Sie kamen immer zu ihm zurück. Er hatte einige Minuten gerastet und sich den Schweiß von der Stirn gewischt, da vernahm er ein seltsames Geräusch. War es leises Gelächter? Er horchte in die Dunkelheit hinein. Seine Laterne leuchtete nicht besonders viel aus, gerade soviel, dass man in einem kleinen Raum gut genug zum Arbeiten sehen konnte. Das Gekicher setzte sich fort, wurde lauter. Er hörte jetzt auch Schritte von den Wänden widerhallen, und ein Licht, das seltsam flackerte. Herr Eberschlecht stand auf, ängstlich und unwissend, wer das Geräusch verursachte. Es klang nicht wie ein Zwerg. Und was war das für ein Licht? Er stand auf, nahm die Tasche mit Gwendolyn und Folpert und hängte sie sich so um, dass die Tasche auf seinem Rücken auflag. Dann nahm er seine Spitzhacke und nahm Kampfhaltung an. Mit der Ruhe war es wohl für das erste vorbei…
 



 
Oben Unten