Ideale sind wie Konservendosen

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Papiertiger

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Ideale sind wie Konservendosen, sie haben ein "Abtropfgewicht" und am Ende bleiben oft nur Gurken übrig oder alles ist Wurst. Okay, Dank dieser grauenhaften, bezwungenen sprachlichen Bilder konnte ich bereits mit einem Satz die Leserschaft um locker fünfzig Prozent reduzieren. Weiter geht's. Mit 24 Jahren kam ich, aufgepeitscht von Euphorie und Enthusiasmus aus dem Kino und war überglücklich den Film "Fight Club" gesehen zu haben. Der US-Schriftsteller Chuck Palahniuk hatte, mit wunderbarem Humor, klug und drastisch auf den Punkt gebracht, wie wir leben und wie das Leben sein könnte, das wir uns eigentlich erträumen. Nicht im Halbschlaf genervt und gelangweilt auf der Couch liegen, die Fernbedienung in der Hand und von Sender zu Sender zu zappen, frustriert von einem geistlosen Bürojob, ohne irgendein lohnendes Ziel oder höheren Sinn im Leben. Raus aus dem Hamsterrad von malochen, konsumieren, wegwerfen und wieder neu kaufen. Stattdessen vom Konsumenten zum Macher werden. Das Leben intensiv leben, gestalten, etwas unternehmen. Klang super. Aber warum sitze ich nun, Jahrzehnte später, wieder in meinem Urlaub gelangweilt auf dem Sofa und gucke dank Streamingdiensten sogar noch mehr Fernsehen als in den 1990ern?

Was ist besser? Zu wissen, dass man sterben wird und deshalb (ich hasse Leute die diesen Spruch verwenden): das Leben so leben als wäre jeder Tag der letzte? Ist es nicht eher so, dass Nichtwissen eine viel befreiendere Art zu Leben ist? Wer Gottvertrauen hat und angstfrei ist, kann gestalten. Wenn ich aber denke, dass ich jeden Tag tot umfallen kann und das ich dann nicht mehr existiere, dann kann das in lähmende Depressionen, in den Suff oder zu fatalen Entscheidungen führen wie sich einer fragwürdigen politischen Bewegung oder Sekte anzuschließen, mit 50 einen albernen Sportwagen zu kaufen oder auf Selbstfindungsreise nach Indien oder im Internet falsch abzubiegen.

Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen. Nee. Was haben Schokolade und ungeschützter Geschlechtsverkehr gemeinsam? Erst machts total viel Spaß und hinterher wird man, wenn man nicht aufgepasst hat, dick. Oh mein Gott, immer nur fade Witzchen und nie auch nur der Hauch einer Spur von Relevanz und sprachlicher Finesse, sondern immer gleich voll in die Wortspielhölle.

Das Gute an einem Gefäß, aus dem der Inhalt entfernt, das Abtropfgewicht und der vorherige Inhalte entfernt wurde ist ja, dass nun Platz für etwas Neues ist. Aber wer macht sich schon diese Mühe und füllt etwa in ein altes Gurkenglas neue Dinge? Und ist nicht dies, überraschenderweise doch endlich mal eine gute Metapher? Wir bekommen von Eltern, Lehrern, Medien, unserem gesamten Umfeld etwas mit auf den Lebensweg, quasi eine Schultüte voller Erwartungen, Hoffnungen, Glaubenssätzen. Wir behalten einige, werfen welche weg, nehmen neue dazu. Aber wer ist schon bereit wirklich im großen Stil auszumisten und neu zu beginnen? Und, denken wir uns bitte Neo aus dem Film "Matrix" oder Alice von Lewis Carrol dazu: Was wählst Du, liebe Leserin, lieber Leser: willst Du ein Glas voller neuer Inhalte oder willst Du den Biss in die ranzige Spreewaldgurke? Weil: war ja schon immer so, die Bäume wachsen nicht in den Himmel, Mensch bleib der Erde treu, es irrt der Mensch so lange er strebt und es bringt doch eh alles nichts.
 

petrasmiles

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Hallo Papiertiger,

habe ich Dich nur übersehen, oder warst Du eine Weile weg?

Ich mag den Text und seine schnoddrige Art, auf Sinnsuche zu gehen. Ich könnte jetzt dagegenhalten, dass da einem vielleicht das Leben dazwischen kam ... ist mir aber auch zu platt, geht aber noch als Satire durch, oder?
Nein, ich fürchte, da ist schon bei der Inspiration was schief gelaufen, weil ich glaube, wir Menschen wachsen wie die Bäume von innen nach außen, ziemlich erbsenzählerisch, wer bin ich, wer hat mir da was vor die Nase geworfen, passt das? Will ich das? Ja, nein, weitermachen, und immer schön schauen, was geht. Nix mehr reinfüllen ins Glas, oder alles wegkippen und neu füllen, das sind zwei Extreme, aber dazwischen gibt es noch was ... ist jetzt natürlich nicht mehr komisch. Schade eigentlich. Hat Potential, das Leben.

Liebe Grüße
Petra
 

Papiertiger

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Liebe Petra,

vielen Dank für Deine aufbauenden Worte! Und sehr schön, dass Du Dich auf meine wilden Metaphern einlässt :)

Ja, ich hatte hier länger nichts veröffentlicht, weil ich mich nicht mehr mit so vielen lausigen Texten exponieren möchte. Sonst falle ich hier noch dem Spam-Ordner zum Opfer :) Ist für Leserschaft und Autoren befriedigender wenn mehr Mühe und Sorgfalt in die Beiträge fließt, die dann hochgeladen werden.

Hab einen schönen Tag!

Viele Grüße aus dem Tigergehege
 



 
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