Heimweg

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rubber sole

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Wenige Hundert Meter. Bis zum Bahnhof. Am Rande der Stadt. Für die alte Frau anstrengend. Die Deichsel des Handwagens drückt. Der klapprige Wagen ruckelt. Auf rauen Gehwegplatten. Poltert. Ihre Schritte werden langsamer. Dann das Ziel. Übernahme bei der Gepäckausgabe. Ein Koffer. So einer wie früher. Braun. Verstärkte Pappe. Voller verblichener Aufkleber. Verschlissen. Wurde vorausgeschickt. Abholschein liegt vor. Alle Daten korrekt. Der Koffer zu schwer. Für diese Person. Ein Eisenbahner hilft. Die Frau schlurft zurück. Auf den Bahnhofsvorplatz. Dann weiter zum Gehweg. Mühsames Vorankommen.

Passanten beobachten. Gemurmel. Verhaltenes Grinsen. Niemand hilft. Es ist diese Alte. Verschroben. Wohnt allein. Irgendwo da hinten. Man kennt sie. Oberflächlich. Vom Taubenfüttern. Oder so. Ihre Schritte werden langsamer. Immer wieder Verharren. Das Ende des Wegs naht. Eine letzte Steigung. Dann ein Splittern. Achse des Wagens bricht. Gerät in Schräglage. Vorderrad eingeknickt. Erheblicher Schaden. Nicht zu beheben. Nicht von ihr. Die Alte ratlos. Niedergeschlagen. Vorbeigehende sehen weg. Keiner fragt. Keiner hilft. Dann zwei Männerhände. Dunkle Haut. Die packen zu. Wuchten Koffer hoch. Fragender Blick. Zur Frau. Die nickt. Erleichtert. Weist den Weg. Schwierige Verständigung. Stumme Unsicherheit. Ein ungewöhnliches Paar. Zwei Außenseiter. Dann der Zugang zum Haus.

Der Dunkelhäutige geht voran. Stellt den Koffer ab. Die Frau öffnet die Tür. Nachbarn recken die Hälse. Tuscheln. Der Mann wird hineingebeten. Er zögert. Versteht nur wenig. Tasse Kaffee. Klingt gut. Er nickt. Folgt ihr ins Haus. Unsicher. Blickt zurück. Nach allen Seiten. Nachbarn verziehen sich. Von ihren Fensterplätzen. Kopfschüttelnd.
 

minimalist

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Gefällt mir gut, dein Text. Sicherlich wird nicht jeder Gefallen finden an dieser Art zu schreiben. Man könnte an der einen oder anderen Stelle nach Verben rufen.
Ich nicht. Man kann den Text sehr gut lesen und sich aufs Wesentliche konzentrieren. Bei Kurzprosa durchaus legitim und ein interessanter Weg. Ob es bei längeren Texten so funktionieren würde, weiß ich nicht. Dabei muss ich aber an den Frankfurter Autor Peter Kurzeck denken, der seinen beonderen Schreibstil ganz Romane lang durchgezogen hat. Und wenn man einmal drin ist, gefällt es sogar. Geht zumindest mir so.

Na ja, und der Inhalt deines Textes spricht ja für sich. Leider ein nicht untypisches Szenario bei uns, was all die untätigen Umstehenden und die gaffenden Nachbarn anbelangt. Gut getroffen.
 

petrasmiles

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Ich finde den Stil passend zum Inhalt, ich kenne das auch von mir, dass man solche Schilderungen quasi im Telegrammstil schreiben muss, als würde jeder überflüssige Zierrat vom Wesentlichen ablenken. Und der strahlt hier heraus und entfaltet seine Wirkung - der Beschämung.

Liebe Grüße
Petra
 

rubber sole

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@minimalist:


Danke für deinen zustimmenden Kommentar, minimalist. Ja, es gibt und Formate, zu denen ein minimalistischer Schreibstil gut passt – ist vermutlich in vielen Fällen tatsächlich gewöhnungsbedürftig. Einen Roman komplett so zu verfassen, halte ich für ein sehr 'kühnes' Unterfangen.


Gruß von rubber sole
 

rubber sole

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Hallo Petra,

die Bilder und die Emotionen, die diese Geschichte beim Lesen generiert, sollen durch das 'Staccato' akzentuierter, nachhaltiger wirken. Weitschweifigkeit würde m. E. das Thema verwässern. Danke für den Beitrag.

Gruß von rubber sole
 



 
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