Filmtagebuch: „Geboren am 4. Juli“

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„Ich habe an Amerika geglaubt und ich habe geglaubt, dass das, was wir getan haben, richtig war…“

„Wir wollten beweisen, dass wir recht hatten und dass wir wirklich die Demokratie verteidigten...“

„Die ganze Generation war vorbereitet und gehypt und konditioniert von einer Kultur, die so gewalttätig ist und den Krieg romantisiert…“

Das sind nur einige Original-Zitate von Ron Kovic; diesem Mann, dessen Lebensgeschichte vom Regisseur Oliver Stone im Jahr 1989 verfilmt wurde.
Der Film „Geboren am 4. Juli“ erzählt, wie ein junger Amerikaner verführt und ins Verderben geführt wird von einer kriegsbesoffenen Propaganda, der er sich nicht entziehen kann.
Dass der Protagonist am 4. Juli Geburtstag hat, also am nationalen Festtag der Amerikaner, scheint den US-Bürger besonders emotional an sein Heimatland zu binden.
Bereits als Kind bestaunt er die Militärparade, die anlässlich dieses Nationalfeiertags aufmarschiert.
So wie die uniformierten Soldaten will er auch sein, wenn er groß ist: Ein Held. Einer, der kämpfen geht. Ein Diener der Nation, der das Richtige, das Gute in der Welt vorantreibt.
Daran will er glauben, zumindest noch zu Beginn des Films.

Im Film wird Ron Kovic von der damals noch recht jungen Hollywood-Größe Tom Cruise gespielt.
Einmal mehr geht es um das Trauma des Vietnam-Kriegs und um eine geläuterte Gesellschaft, die 1989 ganz anders auf die Geschehnisse schaut als zu jener Zeit, als dieser Krieg am Laufen war, wenige Jahre zuvor, in den 1960-er und 1970-er Jahren.
Von dieser Kriegszeit erzählt uns der Film.
Cruise spielt einen jungen Mann, der noch auf der Schulbank sitzend einen Anwerbungsvortrag der US-Armee hört. Den bösen Feind hat man zu der Zeit (unter anderem) im fernen Asien verortet. Gegen den Kommunismus sollte es gehen, für die Freiheit und Demokratie – so sagt man ihm, bis er es glaubt.
Man sieht die Kamera auf den Schüler zufahren, wie er erzählt bekommt, welche Ehre es bedeuten würde, dem Verein beizutreten. „Nichts ist stolzer als ein US-Marine!“, predigt der Offizier mit den prunkvollen Goldknöpfen an der Uniform.
Der Schüler Kovic lächelt verzaubert. Seine Augen glänzen. Spätestens jetzt steht für ihn fest: Da will er auch hin.
Ron Kovic meldet sich freiwillig für den Einsatz in Vietnam.
Die Bedenken seiner Freunde wischt er vom American-Diner-Tisch mit Argumenten, wie sie auch heute wieder kommen. Stehsätze wie: „Unsere Väter mussten in den Zweiten Weltkrieg. Das ist jetzt unsere Chance, was zu tun“ und „Die Demokratie verteidigen!“ mussten auch damals schon herhalten, um einen Krieg mit Sinn aufzublasen.
„Ich will meinem Land dienen, ich will nach Vietnam. Und wenn es sein muss, werde ich dort sterben“, wiederkäut Ron Kovic jene Parolen, die man ihm eingebläut hat.

Es kommt, wie es kommen muss: Ron wird im Krieg schwer verwundet und kehrt im Rollstuhl zurück, vom Bauchnabel abwärts gelähmt und auch psychisch angeschlagen.
Das Töten im Krieg war ihm dann doch nicht so leicht von der Hand gegangen, wie er feststellen musste, zumal er (versehentlich) einen amerikanischen Kameraden und dann (mit Absicht) vietnamesische Kinder erschossen hat. Das mit den Kindern lastet besonders schwer auf ihm.
Ron Kovic hat schon schwere Gewissensbisse und hadert mit allem, aber nicht sofort nach seiner Rückkehr wird er zum Anti-Kriegs-Aktivisten.
Es dauert, bis es ihm dämmert, dass man ihn als Kanonenfutter verheizt hat für Interessen, die nicht die seinen sind.
Zunächst reagiert er noch mit Empörung, wenn etwa sein jüngerer Bruder, der zu dieser Zeit schon Bob Dylan hört und einen anderen Blick auf die Dinge entwickelt hat, etwas Derartiges andeutet.
Auch als vom Krieg gebrochener Mann will Ron vorerst weiter am Glauben festhalten, es hätte schon alles seine Richtigkeit. Etwaige Zweifel würden immerhin sein ganzes zurechtgezimmertes Weltbild ins Wanken bringen und sein gebrachtes Opfer, alles wäre damit wertlos, vergebens – das will er sich natürlich nicht so gern eingestehen.
Im Rollstuhl sitzend lässt er sich Medaillen umhängen, winkt mit weißen Handschuhen, schick uniformiert aus dem offenen Verdeck einer Edelkarosse, die diesmal tatsächlich IHN als glanzvolles Schaustück der Festparade präsentiert.
Nun ist er also am Ziel seiner kindlichen Träume – und doch kriechen langsam Fragen in ihm hoch. War es das alles wert, dass er sein Leben riskiert und halb verloren hat? Wofür ist er wirklich in die Fremde gezogen? Warum hat er auf Menschen geschossen, die er gar nicht kennt? Was von dem, was man ihm stets gesagt hat, ist eigentlich wahr, was ist gelogen? War das, was er getan hat, tatsächlich „richtig“?
Am Ende erkennt Ron Kovic die Propagandalügen, die man den Massen erzählt, damit diese einen Krieg gutheißen, mittragen.
Er erkennt, dass er eben nicht „für die Demokratie“, „für das Gute“ oder für sonstige Ideale gekämpft, getötet und gelitten hat, sondern für profane, verdeckte Interessen, die im Grunde eher schändlich sind und den Interessen der allermeisten Menschen zuwiderlaufen.
Am Ende sagt er uns: Glaubt es nicht, wenn sie euch erzählen, ihr sollt für dieses oder jenes sterben und töten. Das ist es einfach nicht wert. Sie lügen, sie benutzen euch.

Der einst so begeisterte Soldat Ron Kovic ist ein bekannter und bekennender Kriegsgegner geworden und hat sich der Friedensbewegung angeschlossen. Auch das erzählt uns der Film.
„Eins, zwei, drei, vier, auf euren Krieg, da scheißen wir!“ hört man Tom Cruise alias Ron Kovic skandieren, während er gegen Ende des Films mit seinem Rollstuhl nicht mehr auf militärischen Paraden, sondern auf Friedens-Demonstrationen mit Gleichgesinnten vorwärtsrollt.
Gewiss, das wurde auch damals nicht gern gesehen.
Damals, in den Hochzeiten der amerikanischen Friedensbewegung wurde Ron Kovic für sein friedenspolitisches Engagement als „Verräter“ beschimpft, als „Radikaler“ oder „dreckiger Hippie“ abgetan und sogar mehrfach verhaftet.
Ich meine, das erinnert doch sehr an die Beschimpfungen „Lumpenpazifist“ oder „Feindversteher“ von heute. Es drängen sich die Bilder der Friedens-Protestcamps an den Universitäten ins Bewusstsein, welche erst kürzlich von der Polizei gestürmt wurden, in Handschellen abgeführte Aktivisten…

Überhaupt erinnert sehr vieles aus dem Film an die heutige Zeit.
Auch heute haben wir wieder eine Jugend, die drauf konditioniert wird, das Militärische zu respektieren, zu bewundern.
Wir haben Rekrutierer, die uniformiert in den Klassenzimmern das Heerwesen bewerben.
Reklame fürs Heer klebt an Straßenbahnen, auf Werbeplakaten, Rüstungskonzerne sponsern Sportvereine („Rheinmetall wird neuer Dortmund-Sponsor“), Militärparaden entwickeln sich zu Besuchermagneten.
Wir haben Menschen zuhauf, die sich Kriege mit Sinn aufblasen lassen.
Der Krieg läuft.
Wir hören junge Menschen wieder sagen, sie würden „dienen wollen“ und dass sie „fürs Land sterben würden“ – wie es etwa die 19-jährige schwedische Soldatin namens Maja vor kurzem medial verkünden durfte. Der ehrenhafte Schlachtfeld-Tod scheint den Jungen wieder süß und verlockend. Ihre Augen glänzen, sie lächeln verzaubert.
Wir haben scheinbar heldenhafte Ukrainer, die sich einem vermeintlichen Feind entgegenstellen, um - vorgeblich - unser aller Freiheit zu verteidigen. Oder beherzte Israelis, die nur konsequent gegen Terroristen vorgehen – sagt man. Und das nächste Feindbild, das man uns aufbereitet: China. Wer derlei hinterfragt, ist jetzt untendurch mindestens. Auf allen Ebenen werden wir gedrängt, politische Entscheidungen abzunicken - und die sind meist kriegerischer Natur.
Man erzählt uns von Feinden, gegen die man siegreich sein müsse, verhandeln könne man mit ihnen keinesfalls.
Man lässt die Waffen sprechen, alles andere schweigt oder wird schweigend gemacht.
Der Feind ist das Böse, schon wieder. Seine Sicht, seine Interessen zählen nicht, sagt man uns.
Und schon wieder: Wir hier die Guten. Nur das zählt.
Dass es in den meisten, nahezu allen Konflikten dieser Welt um die übermächtigen imperialen Interessen der USA geht, die nichts neben sich dulden, verschleiert oder leugnet man.
Propaganda ist es, was wir haben, einmal mehr, auf dass wir alle die laufenden Kriege gutheißen, mittragen.
Auf den Schlachtfeldern wird wieder gestorben. Männer und Frauen kehren zuhauf im Rollstuhl, mit abgerissenen Gliedmaßen, halbverbrannt und von Kugeln durchlöchert zurück – oder eben nicht mehr.

Hätten sie sich diesen Film besser angeschaut, ehe sie in den Krieg gezogen sind, ehe sie sich erneut ins immergleiche Verderben hineinziehen ließen!
Es scheint, als hätte Ron Kovic, als hätten Millionen andere umsonst ihre bitteren Erkenntnisse gehabt und geteilt, als müssten wir die Bitternis nochmal von vorn durchmachen, bis auch die Menschen von heute das Speil durchschauen und endlich wieder ausrufen: „Eins, zwei, drei, vier, auf euren Krieg, da scheißen wir!“ - und einfach nicht mehr mitspielen.


Links:

https://www.youtube.com/watch?v=K8gAlxNNiIU (Interview mit Ron Kovic)

https://www.youtube.com/watch?v=dIvpNSaAzpM (Filmtrailer deutsch zu „Geboren am 4. Juli“)

https://www.zdf.de/nachrichten/wirt...nmetall-stadion-bvb-dortmund-sponsor-100.html (Rheinmetall wird neuer Dortmund-Sponsor)

https://headtopics.com/de/schwedische-soldatin-maja-bin-bereit-fur-mein-land-zu-55041358 (Schwedische Soldatin Maja: „Bin bereit, für mein Land zu sterben“)
 



 
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