Hey!
Johnson & revilo haben sich ja bei Gedichten ziemlich mantrahaft in die Forderung nach inhaltlicher Verständlichkeit und den Gebrauch einer Standardgrammatik verbissen. Ich würde diese Haltung nicht als bildungsfern einschätzen, aber doch als ziemlich engstirnig.
Schon in den alten Barockgedichten begegnen uns grammatisch kühne Konstruktionen (auch nach damaligen Maßstäben) und Aussagen bar jeder Logik. Im Sturm und Drang löst sich das Sprachmaterial eh häufig völlig in ein Gestammel auf und für die so wohlgesetzte Weimarer Klassik hat der alte Goethe verkündet: "Je inkommensurabler und für den Verstand unfasslicher eine poetische Produktion, desto besser." Und auch wenn die bürgerliche Lyrik in der zweiten Hälfte des 19. Jh. häufig einem ideal der gedanklichen und sprachlichen Kohärenz folgte, so gibt es doch zahlreiche Ausreißer - prominentestes Beispiel vielleicht Friedrich Hebbel, der doch für seine (heute vielfach recht museal wirkende) Dramenkunst unter die "Realisten" einsortiert wird, in seinen Gedichten und Sentenzen aber, vermutlich mit großem Vergnügen, reichlich höheren (?) Unsinn verzapft hat ("lieber ein eckiges Etwas, als ein rundes Nichts").
Mit einem Wort: Obskurität und Unverständlichkeit sind schon immer ein Lieblingsthema in der Lyrik - nicht erst seit der literarischen "Moderne" (die heuer auch so langsam auf ihren 150. Geburtstag zugeht - wenns reicht). Wer diesen Aspekt von Lyrik ausblendet, der hat von selbiger schlicht & einfach keine Ahnung.
Und um auf Dein Gedicht konkret einzugehen, lieber Béla, das ist zunächst einmal von einigen wenigen, etwas bildhaften Wendungen abgesehen, ziemlich klar und nachvollziehbar als Beschreibung eines Friedhofs zu lesen. Plastikgießkannen mögen da heutzutags üblicher sein, aber vermutlich finden sich in einigen altmodisch-dörflichen "Kirchhöfen" auch noch blecherne Exemplare. Und wie es sich für den kirchlichen Kontext gehört, ziert das Eingangstor zu diesem stillen Ort ein Engel.
Natürlich gibt es dann - ein bisschen nach Art einer Collage - in den Text einmontierte Bilder, die zwar zum Memento Mori-Gestus passen, aber eher an Haushaltsauflösungen erinnern (der Mottenmantel), aber grundsätzlich ist das Gedicht nicht besonders hermetisch oder sperrig.
Ein schönes und inniges Sonett, das einen nicht allzu "lauten" Ton doch mit einer nachhallenden Eindringlichkeit zu verbinden weiß.
Sehr verdiente Leseempfehlung von Redaktionsseite!
LG!
S.