Einem Gläubigen ins Stammbuch (Tantalos 18)

5,00 Stern(e) 1 Stimme

mondnein

Mitglied
Einem Gläubigen ins Stammbuch


Geh mir mit der Pascalschen Wette
Blinder Stäube Zufallsspiel!
Selbstverkennen des Denkens hätte
Mehr zu verlieren als nur den Stil

Gottbeweise mußt du noch üben
Selbsterkenntnis geht voran
Vorurteile hinwegzuschieben
Fange mit richtigen Schlüssen an

Schluß vor allem mit jener toten
Gleichung der Wahrscheinlichkeit
Auf den wägenden Idioten
Und seine Hoffnung: die Ewigkeit

Ich kann doch einen Gott nicht lieben
Der mein Urteil so zum Spaß
In die Gleich-Gültigkeit getrieben?
Lieblose Wahl ohne Augenmaß

Wenn Gewissen die Lebenslüge
Die der Rechner ausgedacht
Ohne Selbstwiderspruch ertrüge
Wäre die Wahrheit ein Fraß der Macht
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Mondnein,

Du hast es geschafft, dass ich mich mal mit der Pascalschen Wette (kurz) befasst habe, um Deinen Text verstehen zu können (was mir nicht oft gelingt) ... und bin inhaltlich ganz bei Dir.

Ich finde das Gedicht ungewohnt (von Dir) sperrig, was ich nicht schlimm finde, weil es mir zeigt, dass der Inhalt wichtiger war als der reine Klang, und das sehe ich ja immer so.
Mir will nur scheinen, dass beim Übergang von 'Schlüssen'
Fange mit richtigen Schlüssen an
zu Schluß
Schluß vor allem mit jener toten
eine Disharmonie besteht. Die Worte klingen so ähnlich und haben doch eine ganz andere Bedeutung, verursachen von der einen zur nächsten Zeile einen kleinen Hopser (Innehalten) im Kopf. Da der Inhalt so dicht gesetzt ist, fällt es schwer, für die eine oder andere Stelle einen Ersatz zu finden, deshalb kann ich Dir auch keinen Verbesserungsvorschlag machen.

Wäre die Wahrheit ein Fraß der Macht
Ich denke, das ist sie sowieso. Darum braucht es das starke Individuum, dass sich der Macht widersetzt und ihr die Wahrheit wieder entreißt - und wenn auch nur im eigenen Kopf.

Sehr gerne gelesen.

Liebe Grüße
Petra
 

mondnein

Mitglied
Genau getroffen hast Du, liebe Petra,

in das Herz der syntaktisch umkippenden Argumentation, den logischen Sprung von der zweiten in die dritte Strophe:

Mir will nur scheinen, dass beim Übergang von 'Schlüssen'
zu Schluß
eine Disharmonie besteht.
Ja: das Wort "Schluß" ist hier doppeldeutig verwendet, "Schluß mit der Gleichung" ist ein anderer Gedankenschritt als "Schluß auf den wägenden Idioten". Der erstere "Schluß" weist die Prämisse Pascals, daß man zwischen den zwei Möglichkeiten "Gott existiert" und "Gott existiert nicht" sich zu entscheiden habe, brüsk ab. Man solle mit solch einer Annahme unmittelbar "Schluß machen". Der zweitere "Schluß" ist die Schlußfolgerung (des Lyris in der Metaebene), der abwägende Gottsucher (der unter-liegenden Objekt-Ebene) offenbare sich als Seligkeits-Egoisten, dieser "Schluß" ist dann also ein "Schluß auf den Idioten", der in dem Selbstbetrug seiner "Hoffnung" strandet. Ein "Schluß" (in der Metaebene wie bei einem analysierenden Psychologen) auf den "Schließenden" (Objektebene).

Danach dann folgt mit der dritten Strophe ein - meiner heutigen Auffassung nach - ungerechtes Werturteil: Der Gott, der dem Philosophen das Auswägen der Seligkeits-Wahrscheinlichkeit überläßt, könne von dem lyrischen Ich-Philosophen nicht geliebt werden. Aber das ist doch Quatsch (bzw. eine bloß zwischengeschaltete subjektive, nicht für den Schluß maßgebliche Wertung). Mir ist (heute) der Gott, der die Waage in einer Gleichgeltung der "Gott-existiert"-Möglichkeiten schwanken läßt, lieber als der Wahrheitsmonopolist, der die eine der beiden Waagschalen mit der Belohnung der ewigen Seligkeit besetzt. Dann wiederum "stimmt" (für mich heute) die fünfte Strophe, die gerade diese selbstbetrügerische Ungleichgewichtigkeit einer ewigen Seligkeit, die den Hoffenden für seine kurzzeitig-aktuelle "Hoffnung" belohnt, als "Lebenslüge" kritisiert.
Die Gleichgewichtigkeit, von der Pascal eigentlich ausging, die er aber mit seinem Fehlschluß verwackelt hat, ist eben nicht "Fraß der Macht", sondern behält den Freiheits-Angelpunkt des schwebenden Pendels.

Das letzte Lied des Tantalos-Zyklus spielt mit eben diesem Gottesbeweis-Pendel: In dem hier folgenden Gedicht "Mitte" ist das Scheitern das eigentliche Gelingen. Gott beweist sich durch seine Nichtexistenz.

grusz, hansz
 
Zuletzt bearbeitet:



 
Oben Unten