Eine Reise nach Amsterdam 2024

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Viel Schönes gibt es zu entdecken in Amsterdam, die Stadt bietet einiges.
Im Jahr 2024 allerdings ist das Reisen mit erheblichen Risiken, Erschwernissen und Barrieren verbunden, die den Gesamteindruck trüben.

Angefangen hat es mit Problemen bei der Buchung.
Im Reisebüro nämlich kann man keine Zugfahrkarten, nur Flüge buchen.
Am Bahnhof wiederum, wo man Zugfahrkarten bekommt, waren die angebotenen Hotels relativ teuer.
So entschieden wir, mein Mann und ich, die Fahrkarten und ein günstiges Hotel separat zu buchen.
Ans Reisebüro wandten wir uns nicht zuletzt deshalb, um bei etwaigen Schwierigkeiten einen Ansprechpartner und Sicherheiten zu haben.
Wir gingen nach Hause mit einem Zugticket und einem Hotel-Voucher, was wir beides unverzüglich bezahlt hatten.
Abreisetag war schließlich der 11. Juni.

Am 03. Juni fangen die Zeitungen an, Nachrichten über den insolventen Reiseveranstalter FTI zu bringen, ich registriere das so nebenbei.
Am 04. Juni checke ich zur Sicherheit unsere Unterlagen und, oh Scheiße, da steht „FTI“ auf dem Zettel fürs Hotel.
Umgehende Nachfragen beim Reisebüro bringen erstmal: Nichts.
Abwarten, sagt man uns, es gäbe noch keine Anweisungen von oben.
Neuigkeiten gibt es erst am Freitag, dem 07., und sie sind nicht gut.
Unser eingezahltes Geld ist verschwunden im Nirwana. Das Hotel hat den Betrag nie erhalten, das Reisebüro erklärt sich für nicht verantwortlich und bei FTI heben sie schon längst nicht mehr ab, wenn man anruft.
Die Arbeiterkammer (Konsumentenschutz) hat ebenfalls nur Deprimierendes auf Lager: Unser Geld ist wohl weg. Pauschalreisende haben noch bessere Chancen, später etwas refundiert zu bekommen, aber Leute wie wir, die ein Hotel singulär gebucht haben, schauen vermutlich total durch die Finger, müssen wir uns anhören.
Zwischen jetzt und der Abreise liegt nur noch ein einziger Arbeitstag. Die Zeit drängt und wir haben Sorge, ohne Unterkunft am Zielort zu stranden.
Im Reisebüro sehen wir uns genötigt, ein weiteres Mal, also doppelt fürs Hotel zu bezahlen, zwischen viel hilflosem Schulterzucken und Tut-uns-leid-Beteuerungen des Personals.
Aha. Der riesige Konzern, der letztes Jahr noch 10% Umsatzsteigerungen verzeichnen konnte, soll aus heiterem Himmel heraus plötzlich insolvent sein und zeigt seinen Kunden nur noch den Stinkefinger. Aber sicher haben die Aktionäre ihre Renditen erhalten, Kapitalismus eben.

Hinfahrt im Sechser-Schlafwagen, den ich nur bedingt empfehlen kann. Allerdings, wenn man interessiert ist an sargähnlichen Liegeerfahrungen, empfiehlt sich so ein Arrangement sehr.
Auf jeder Seite des schmalen Abteils befinden sich drei übereinanderliegende Pritschen, in denen man sich nicht mal aufsetzen kann.
Nur wenn die mittleren Betten eingeklappt sind, kann man sitzen, also zu sechst aufgereiht, Knie an Knie, sehr eng. Bloß ein einziges kleines Tischchen am Fenster. Wer nicht am Fenster sitzt, muss alles auf dem Schoß balancieren, etwa das Frühstückstablett mit Heißgetränk, das am Morgen serviert wird.
Zum Glück schlafen wir unten und müssen wenigstens nicht diese schwindlige Leiter hinaufklettern.
Die Gemeinschafts-Waschräume (Waschbecken mit Spiegel für den gesamten Waggon) sind in Ordnung, nur der Wasserstrahl ist schwach und ich fürchte, der Tank könnte bald schon leer sein. Zudem ist eine der Zugtoiletten außer Betrieb. Ich werde an den nächsten Wagen verwiesen.
Mit uns im Abteil sind zwei sehr nette ältere Holländerinnen und ein seltsames junges Pärchen aus Kalifornien, das pausenlos Atemschutzmasken trägt, auch beim Schlafen. Selbst beim Essen: Für jeden Biss ihres mitgebrachten Salats wird die Maske nur sekundenlang vom Mund gezogen.
Erst spät klinken sich die Kalifornier ins Gespräch ein. Man plaudert (auf Englisch) über Sehenswürdigkeiten in Holland und später auch ein bisschen über Politik. Von Biden zeigen sie sich begeistert, Trump-Wähler finden sie generell nur dumm und können sie nicht verstehen. Sie erzählen uns, sie würden beide für Tech-Unternehmen im Silicon-Valley arbeiten und wollen ihre Europa-Tour in zwei Wochen absolviert haben.
Fürs Anne-Frank-Haus, wofür man sich vorab online anmelden muss, hat es allerdings nicht mal die kalifornische Technik-Expertin geschafft, Tickets zu organisieren. Alles ausgebucht, klagt sie. An diesem Punkt verabschiede ich mich gedanklich von der Idee, diese Sehenswürdigkeit auf gut Glück anzusteuern, schade.
Plaudernd vergeht die Zeit bis zur Ankunft recht schnell.
Man verabschiedet sich freundlich und nicht mehr wie Fremde, nachdem man soeben eine Nacht zusammen verbracht hat.
Die Holländerinnen laden uns schließlich sogar zu sich nach Hause ein, woraus aber nichts werden wird, weil sie eben nicht in Amsterdam, sondern im Hinterland wohnen und unsere Zeit begrenzt ist.

In Amsterdam angekommen, verlassen wir den Bahnsteig in Richtung Ausgang und finden uns ratlos vor einem Drehkreuz wieder.
Ich soll mein Ticket scannen, sagt mir ein Security-Mensch mit Warnweste.
Erst glaube ich, ich bin falsch und stehe bereits vor dem Einlass zur Metro, will schon kehrtmachen, aber der Warnwestenmensch erklärt mir, dass man hier nur rauskommt, wenn man sein soeben benutztes Zugticket scannt. Also die Fahrkarte, die einen hierhergebracht hat, braucht man erneut, um von den Bahnsteigen in die Bahnhofshalle zu gelangen. Ich krame unser ÖBB-Ticket hervor und tatsächlich – die Tore öffnen sich.

Das führt uns auch schon zum ersten großen Kritikpunkt, den ich habe: In Amsterdam muss man sich bei jedem Ein- und Aussteigen in die Öffis elektronisch an- und abmelden.
Auch in der Straßenbahn: Unfreundliche Schranken versperren dem Zusteigenden den Weg. Erst nach dem Scannen einer gültigen Fahrkarte leuchten die Lichter grün und es piepst zustimmend, der Schranken kann passiert werden.
Das gleiche Prozedere beim Aussteigen.
Das verlangsamt das Ein- und Aussteigen insgesamt, ist unpraktisch (vor allem mit Koffern oder Einkaufstaschen in der Hand) und ist prinzipiell eine unfreundliche, misstrauische Geste gegen jeden, der das Verkehrsmittel betreten und nutzen möchte.
Außerdem gibt es markierte Straßenbahntüren, die nur fürs Einsteigen und andere, die nur für den Ausstieg gedacht sind, damit sich die Leute beim Ein- und Auschecken an den Checkpoints nicht in die Quere kommen. Das bedeutet, man muss ständig schauen, wo man einsteigen „darf“ und fürs Aussteigen muss man sich nach woanders in der Bahn begeben. Will man etwa nur für eine Station schnell mal rein- und raushüpfen, ist das recht umständlich.
Einfaches, bequemes Öffi-Fahren stelle ich mir anders vor.
Das blaue Öffi-Ticket, das wir natürlich sogleich gekauft haben, musste ständig parat sein. Immerfort muss man sich beweisen, dass man ein gültiges Ticket erworben hat. Wer einsteigt, ohne dass das Display ein grünes Häkchen anzeigt, macht sich verdächtig.
Schlimmer noch verhält es sich allerdings für die lokale Bevölkerung. Die fährt nämlich nicht mit anonymen blauen Karten durch die Gegend, sondern mit personalisierten Tickets (meist auf dem Smartphone), die mit jedem Ein- und Ausstieg in ein öffentliches Verkehrsmittel eine bedenkliche Datenspur hinter sich herziehen.
In den Öffis erinnern Durchsagen daran, dass es wichtig sei, auch beim Aussteigen die Fahrkarten an den Scanner zu halten. Auf diese Weise werden die gefahrenen Strecken zum Teil metergenau abgerechnet und bezahlt.
So richtig in Fahrt gekommen sei dieses System, so hat es mir ein Ortskundiger erzählt, vor etwa 2-3 Jahren, also im Zuge von Corona.

Mein zweiter Kritikpunkt schlägt in eine ähnliche Kerbe: Das Cashless-System und die Selbstbedienungskassen.
Soweit ich es beurteilen kann, gibt es in Amsterdam hauptsächlich Albert-Heijn-Supermärkte mit blau-weißem Logo. „No cash“ steht in vielen Filialen angeschrieben, und wo es vielleicht noch eine Kassa für Bargeldzahlungen gibt, ist das ebenfalls nur eine Selbstbedienungskassa mit keinem menschlichen Gegenüber.
Wenn das die Zukunft sein soll, zweifle ich schwer, ob es eine gute ist.
Auch hier hinterlassen die Menschen mit jedem Einkauf, mit jedem Schritt ihre persönlichen Daten und geben etwas von sich preis, was eigentlich privat und nicht öffentlich sein sollte. Gefährlich.
Und Tickets fürs Rijksmuseum: Ebenfalls nur mit Karte zahlbar.
Zwar werden wir zunächst an einen Stand verwiesen, an dem Barzahlungen möglich sein sollen, nur leider hat dieser Stand grad geschlossen.
Also zahle ich das erste Mal in diesem Urlaub tatsächlich mit Karte, weil es eben nicht anders geht – und weil ich froh bin, überhaupt noch Tickets vor Ort zu kriegen. Die soll man ja eigentlich auch schon im Voraus übers Internet buchen, haben wir gehört, und dass man vermutlich spontan und kurzfristig gar keine Tickets kaufen kann.
Ein zweites (und letztes) Mal noch muss ich meine Karte zücken, nachdem ich im Inneren des Museums eine Kaffeepause einlegen will. Barzahlung ist auch hier keine Option, auch nicht im Souvenirshop.
Das Museum selbst, die Ausstellung ist natürlich gigantisch.
Gemälde, Artefakte, Statuen… die die niederländische Geschichte und die Geschichte der Welt nachzeichnen; eine malerische Bibliothek, ein asiatischer Pavillon…
Wir verbringen Stunden hier drin und haben gewiss gar nicht alles entsprechend gewürdigt.

Kommen wir also zu den schönen Aspekten der Stadt.
Sie ist sehr freundlich, offen, bunt.
Vielleicht liegt es ja an den Marihuana-Wolken, die unentwegt über allem schweben, nicht nur rund um die zahllosen Coffee-Shops, jedenfalls es sind die Menschen hier einfach gut drauf.
Man lächelt, ist entspannt.
Auf englisch kann man sich mit jedem gut unterhalten, viele sprechen auch deutsch. Das Niederländische konnte ich ebenfalls einigermaßen dechiffrieren, weil es dem Deutschen sehr ähnlich ist. Wirklich klingt es oft wie ein amüsanteres Deutsch mit ein paar Extra-Silben.
Schon frage ich mich mehrmals, wo denn die Armen, die Aussortierten und auch die Alten sind, denn ich sehe vorwiegend junge, zahlungskräftige Enthusiasten in Amsterdam: den Typus Student, Tourist oder Geschäftsmensch, welche augenscheinlich selbstsicher und sorgenfrei durchs Leben gehen.
Einen einzigen Obdachlosen habe ich im Park gesehen. Dieser trug, seltsam, eine Baby-Puppe bei sich und ist, verständlich, wütend geworden, als eine sichtbar wohlhabende Frau auf dem Pferd angeritten kam und nicht nur sprichwörtlich vom hohen Ross auf ihn herabschaute.
Aufgefallen ist mir auch: An diversen Plätzen gilt in Amsterdam ein Alkohol-Verbot, was sich vermutlich schon auch gegen Menschen richtet, welche kein Zuhause haben und vielleicht im öffentlichen Raum ihre Probleme mit Schnaps und Bier dämpfen möchten.

Es ist ja bekannt: In Amsterdam fährt man Rad, viel und schnell.
Ehrlich gesagt, ich möchte (und könnte) nicht Teil dieser Rennrad-Kolonnen sein, die gekonnt jede Kurve nehmen und zeitgleich den tapsigen Touristen ausweichen, die vielleicht eben erst angekommen und mit den verkehrstechnischen Gepflogenheiten noch nicht vertraut sind.
Beim Überqueren der Straßen muss man als Fußgänger ganz schön aufpassen, zumal es nur wenige Ampeln gibt und die Radfahrer irgendwie immer Grün und Vorfahrt haben, dazu kommt der Auto- und Öffi-Verkehr, den man im Blick haben sollte.
Viel bin ich zu Fuß gegangen in Amsterdam. Für längere Strecken bevorzugte ich schließlich doch die Öffis, welche prinzipiell gut ausgebaut sind.

Man kann auch mit der Fähre fahren – und die ist, ich habe es gar nicht glauben können – tatsächlich gratis. Kostet keinen Cent.
Hier gibt es auch kein lästiges Ein- und Auschecksystem: Einfach einsteigen.
Rüber zum Filmmuseum und dem benachbarten Hochhaus, auf dessen Aussichtsdeck man über die Dachkante hinausschaukeln kann, wenn man sich traut.
Oder ein Stückchen weiter bis zum NDSM-Gelände, wo man Graffitis bestaunen, Ausstellungen besuchen, herumspazieren und einkehren kann.
Es ist dies eine moderne Seite der Stadt, die man so vielleicht gar nicht erwartet.

Amsterdams Zentrum dagegen schaut aus wie ein einziges Postkartenmotiv.
Die schmalen Häuser mit schmucker Backsteinfassade entlang der baumgesäumten Grachten und pittoreske Brücken bieten Fotomotive ohne Ende.
Samstagmorgen ist ein guter Zeitpunkt zum Flanieren, haben wir festgestellt.
Gar nicht allzu früh, gegen 09:00 Uhr machen wir uns auf, um zu frühstücken, da sind offensichtlich alle noch im Bett, die Straßen menschenleer und wir haben Mühe, ein offenes Lokal zu finden.
Zur Mittagszeit herrscht dann aber schon wieder quirliges Treiben.
Ich treibe mit und lustwandle durch den Flower-Market und durch die Innenstadt, kaufe dies und das, eine hübsche Vase, einen blau-weiß bestickten Rock oder Mitbringsel für die Daheimgebliebenen.

Am Dam, das ist sowas wie der Hauptplatz, will ich mir einen Hot-Dog gönnen, da komme ich gerade recht zu einer Kundgebung, die auf das Leid in Gaza hinweisen möchte. Interessiert schließe ich mich an.
Das Gaza-Thema begegnet mir ständig in dieser Stadt.
Ich steige in die U-Bahn und dort auf dem Bildschirm, wo die nächste Station angezeigt wird, hat jemand einen Palästina-Aufkleber angebracht.
Graffitis am NDSM-Gelände, in den Schiffswerkshallen, auf den Straßen… erzählen immer wieder von Gaza, Nahost und dem Schrecklichen, das dort geschieht. „Free Palestine“ oder „Stop genocide“ liest man immer wieder.
An einem der Stände am Flower Market, wo sie Blumen verkaufen, befindet sich neben der Kasse die Spendenbox einer Organisation, welche in Gaza Olivenbäume pflanzen will.
Am Dam gibt es zudem einen dauerhaften Info-Stand zur Sache.
Ich finde es erstaunlich und erfreulich, dass sich die hiesige Bevölkerung in dieser Sache allen Widerständen zum Trotz auf diese Weise zu Wort meldet, weitaus lauter als ich das aus meiner Heimat kenne.

Der Dam in Amsterdam bietet mir außerdem noch etwas anderes, ganz Besonderes: Hier darf man Vögel füttern wie man will - was in Österreich ebenso unter Vorbehalt steht, sofern es nicht verboten ist.
Aber hier kann man sogar Vogelfutter vor Ort kaufen, um die vielen Täubchen anzulocken.
Das nutze ich natürlich aus.
Selig stehe ich wiederholt auf diesem Platz und meine Lieblingstiere sitzen reihenweise auf meinen Armen, in meiner Hand, um sich füttern zu lassen. Ich bin umringt von Freunden wie die Vogelfrau aus Mary Poppins.
Für mich das Highlight des Urlaubs.

Der Tag am Strand: Nicht minder schön.
Zwar hängen dunkelblaue Wolken am Himmel, aber kalt ist es nicht, als wir den kilometerlangen Sandstrand von Zandvoort abschreiten.
Dünen, Möwen, Wind. Ein Teppich aus Muscheln im Sand. Dazu die aufgepeitschte See - eine imposante Kulisse.
In einem der Strandcafés bestelle ich Pfefferminztee und bekomme keinen schnöden Teebeutel in die Tasse gehängt, sondern frische grüne Minzblätter, köstlich.
Durchs Lokal flattern wiederum winzig kleine Spätzchen, die sich durch die Dachluken zwängen und meine mitgebrachten Körner vom Tisch picken, direkt vor meiner Nase.
Mit dem Zug erreicht man Zandvoort in einer halben Stunde von Amsterdam ausgehend, Kostenpunkt € 14 für Hin und Retour. Die Zugtaktung ist gut, man muss nie lange warten. (Ein- und Aussteigschranken gibt es hier auch nicht.)
Am Bahnhofskiosk kaufe ich für kleines Geld Rosinenbrötchen und teile mit einer einbeinigen Taube, bis es wieder zurück in die Stadt geht.
Trotz des wolkigen Wetters war dies ein durchwegs heiterer Tag.

Ein nicht so heller Ort ist das Rotlichtviertel in Amsterdam, das ich mir natürlich auch angeschaut habe.
Die Bronzestatue „Belle“ als Denkmal für Sexarbeit hatte ich schon Tage zuvor entdeckt. „Belle“ befindet sich nicht direkt auf dieser Meile, wo sich die halbnackten Frauen in Schaufenstern feilbieten, sondern ein wenig außerhalb vor einem Kirchengebäude.
Das Spektakel mit der Menschenfleisch-Beschau finde ich entwürdigend, ich kann es nicht anders sagen, und ich sage das nicht aus Prüderie. Demütigend, wie die Lohnabhängigen hier ihre intimsten Körperteile preisgeben und verkaufen. Es ist einmal mehr die scham- und grenzenlose Fratze des Kapitalismus, die mich anstarrt.
Es fällt mir regelrecht schwer, in die rotbeleuchteten Schaufenster hineinzusehen, so tue ich das nur aus den Augenwinkeln im Vorbeigehen und bin froh, als wir die Meile wieder hinter uns lassen.

Der Vondelpark, ein weitläufiges Grün mit Blumenbeeten, Springbrunnen und Teichen, oder das Filmmuseum („Eye“) sind demgegenüber nochmal schönere Aspekte.
Einen täglich stattfindenden Flohmarkt gibt es, noch haufenweise andere Museen, das legendäre „Paradiso“, Konzert- und Veranstaltungszentrum in einer ehemaligen Kirche; eine „Condomerie“, wo man handgemachte Kondome kaufen kann und gewiss viele weitere Sehenswürdigkeiten, die uns gedenk der knappen Zeit entgangen sind.
Am letzten Tag machen wir eine Bootstour und sind ganz privat mit dem Skipper auf dem Wasser, der uns eine ganze Stunde für nur € 14 pro Person über die Wasseradern der Stadt schippert.

Touristen-Nepp gibt es natürlich auch.
Für diese Stroop-Waffeln etwa stehen die Leute schon mal Schlange, dabei sind die handtellergroßen, halbseitig mit Schokolade beschmierten Backwerke nur millimeterdünn und kosten aber knapp € 10.
Eine Kugel Eis im trendigen weißgetünchten Salon verkaufen sie für über € 3.
Da hab ich mehrmals nein gesagt.
Rückblickend bereue ich jedoch, nicht im Café Americain am Leidseplein gefrühstückt zu haben. Das prachtvolle Jugendstil-Interieur des stadtbekannten Baus habe ich zwar kurz beäugt, habe aber vor Ort nichts konsumiert.
Allzu teuer wäre es aber gar nicht gewesen.
Besonders die „Eggs Benedict“, pochiertes Ei mit Sauce Hollandaise, hätte ich probieren wollen. Für € 13,50 plus ein Kaffee für knappe € 5 wäre das preislich okay gewesen. Das hätte ich mir im Urlaub schon mal leisten können und wesentlich billiger war es in den anderen Cafés dann auch nicht, wo wir Pancakes, Käsetoast oder Granola-Bowls gefrühstückt haben.

Mittags und abends essen wir meist Street-Food wie Pommes (mit Mango-Majo-Sauce, herrlich!) oder türkische Pizza, die wie ein Wrap eingerollt wird. Den Imbissstand mit den eingelegten Heringen lassen wir aus, weil uns das beiden nicht sonderlich zusagt.
Zweimal gehen wir essen ins Restaurant mit Preisen wie zuhause (Pizza, Pasta für € 10 aufwärts). Die Produkte im Supermarkt sind hingegen günstiger als in Österreich.
Am Karaoke-Abend schauen wir ins Pub und hören grölenden Engländern zu, auch eine Erfahrung.

Probleme gibt es dann wieder mit der Rückreise.
Der Mensch, der uns das Öffi-Ticket verkauft hatte, hat uns – meinem vorausschauenden Einwand zum Trotz - einen Tag zu wenig ausgestellt.
Während wir also unsere Koffer für die Fahrt zum Bahnhof in die Straßenbahn wuchten, zeigt der Ticketscanner beim Einstiegs-Checkpoint plötzlich Rot an, dazu ertönt ein hässliches Geräusch, ich hatte es befürchtet.
Trotzdem ist es uns möglich, den Schranken zu passieren. Man kann diesen offenbar auch mit dem Körpergewicht aufdrücken.
Wo wir schon mal drin sind, bleiben wir und auch und niemand schmeißt uns raus. Scheel angeschaut werden wir schon ein bisschen. Wir fahren ohnehin nur zwei Stationen.
Anschließend stehen wir allerdings vor den Toren zur Metro und erkennen, dass Schwarzfahren hier keine Option ist. Unmöglich, die Koffer unauffällig über die Zugangsschranken zu bugsieren.
Ich bin mir nicht sicher, ob man für einzelne Strecken ein Ticket kaufen kann und zweifle außerdem schwer daran, dass sich ein solches Ticket am Automaten bar bezahlen lässt.
Mit der soeben gemachten Erfahrung, dass uns die Straßenbahn relativ problemlos auch ohne Fahrkarte transportiert, beschließen wir, auf diese Weise zum Bahnhof zu gelangen. Es gelingt. Die Straßenbahn der Linie 2 fährt ebenso zur Centraal Station wie die Metro.
Unsere Tickets haben wir auf dieser letzten Fahrt einfach nicht mehr am Checkpoint gescannt, um nicht direkt als Schwarzfahrer aufzufallen. Ich glaube zwar, die wiederholte Durchsage à la: „Bitte scannen Sie Ihre Tickets bei jedem Ein- und Aussteigen“ gilt nunmehr uns speziell, aber alles in allem geht es gut. Wir erreichen den Bahnhof unbehelligt.

Am Bahnhof verbringen wir die letzten Stunden.
An dessen Nordseite, wo die Fähren ablegen, schauen wir aufs Wasser.
Dabei bemerken wir einen blassen Typen im orangen Fußball-Shirt, der sich auffallend aggressiv verhält.
Er pöbelt Passanten an, tritt mehrmals heftig gegen einen Mistkübel und uriniert schließlich weithin (und eine erstaunliche Menge) über den Zebrastreifen am Haupteingang. Leute, die später ankommen, wissen nicht, dass es keine Regenpfütze ist, durch die sie ihre Koffer ziehen.
Der orange Typ ist offensichtlich betrunken oder anderweitig weggetreten.
Dann geschieht Erstaunliches.
Ein Security-Mensch, ein junger, schmächtiger Typ, unbewaffnet, fängt an, auf den Randalierer zuzugehen, mit ihm zu reden. Sie reden lang. Der Security-Mensch bleibt erstaunlich besonnen und zugewandt. Am Ende beruhigt sich der Orangefarbene tatsächlich, er umarmt den Security-Mann sogar und zieht hiernach von dannen.
Ich meine, in Österreich wären Polizisten herbeigestürmt und hätten die Situation vermutlich zusätzlich eskaliert anstatt solcherart in Ruhe aufgelöst.
Das ist mit das Schöne an Amsterdam: Die freundliche Gelassenheit, die Toleranz, die vieles besser macht.

Beim Abfahren ist unser Zug pünktlich.
Diesmal bin ich die einzige Frau unter fünf Männern im Abteil (mein Ehemann miteingeschlossen). Die Männer sind nett, jung, sympathisch; ich fühle mich fast wohler mit ihnen als mit den seltsamen Kaliforniern beim Herfahren.
Wir quatschen über Amsterdam und über Musik, wir scheinen die gleichen Bands zu mögen.
Der Waschraum in diesem Zug ist kleiner als im letzten, dafür ist der Wasserstrahl ergiebiger. Schon wieder ist eine der Toiletten gesperrt, die andere ist übel verdreckt von jemandem, der Durchfall hatte oder sich übergeben musste – so genau kann man das gar nicht sagen. Ich beschließe, über die Nacht nur wenig Wasser zu trinken, um nicht nochmal auf dieses Klo zu müssen.
Dann wieder ab in die Liegebatterie, wo ich nur wenig Schlaf finde.
Ich erwache in München-Ost, wo sich vor dem Bahnhof ein weißes Riesenrad dreht.
Die Laufschrift auf der Anzeigetafel erzählt mir, dass wir 45 Minuten Verspätung haben, kurz drauf soll es schon über eine Stunde sein.
Einmal noch Zähne putzen, waschen, schminken, frisieren in der Gedrängtheit des Waschraums, während es ruckelt. Die meisten schlafen noch.
Frühstück ist für 07:00 Uhr angekündigt, aber erst um 08:00 Uhr kommt der Zugbegleiter mit Brötchen, Butter, Marmelade und Kaffee.
Kurz vor Salzburg merke ich, ich muss pinkeln, will es mir aber verkneifen, bis wir den hiesigen Bahnhof verlassen haben. Doch dann: Eine geschlagene Stunde stehen wir in Salzburg.
Der Zugbegleiter weiß selber nicht, was los ist und wann es weitergehen soll.
Nachdem man auf den Bahnhöfen die Toiletten nicht benutzen soll, beschließe ich den Klogang weiter aufzuschieben. Irgendwann muss es doch weitergehen, sag ich mir.
Schließlich kommt eine Durchsage: Auf unbestimmte Zeit kann unser Zug nicht weiterfahren – warum, das wird uns nicht verraten. Aber es wird uns empfohlen, auf den Intercity umzusteigen, der in zehn Minuten von Bahnsteig 4 abfährt, unsere Tickets wären hier gültig.
Daraufhin: Hektisches Zusammensuchen aller Habseligkeiten. Koffer, Taschen, Jacken, Handys… nichts vergessen. Sechs Leute in panischer Aufbruchsstimmung, sind sich natürlich gegenseitig im Weg. Auf einmal muss es schnell gehen.
Wir eilen zu Bahnsteig 4, da fällt mir ein, dass uns der Zugbegleiter beim Einsteigen die Fahrkarte abgenommen hat (war auch beim Hinfahren so, keine Ahnung warum). Also wieder zurück und unsere Tickets eingefordert, erneutes Hetzen zu Gleis 4.
Gott sei Dank hat auch dieser Zug ein wenig Verspätung.
Aber, au weia: Der ganze Bahnsteig ist so komplett überfüllt mit Menschen, dass es mir schon dämmert, wie schlimm es gleich wird.
Wir mit unseren Koffern haben es besonders schwer, uns in den ankommenden Zug reinzuquetschen - und quetschen ist genau das richtige Wort.
Als die hier zusteigenden, vielen Menschen in den Zug drängen, ist dieser bereits vollbesetzt.
Passagiere, die sitzen, haben offenbar eine Reservierung und ohne Reservierung Zugfahren ist wohl nicht mehr.
Es gibt keine freien Sitzplätze und einen Stehplatz zu finden ist schon ein Problem.
Geistesgegenwärtig schiebe ich meinen Koffer gleich nach dem Einsteigen in eine der dafür vorgesehenen Ablagen in der Nähe der Tür und werde sogleich weitergedrängt. Mein Mann ist nicht so reaktionsschnell und strandet mit seinem Gepäck mitten im Großraumwaggon.
So stehen wir eine weitere Stunde bis Linz, eingepfercht zwischen Koffern und Körpern in einem Szenario, wie man es vielleicht aus einem Dritte-Welt-Land kennt.
Zur Erinnerung: Ich müsste eigentlich längst aufs Klo. Bloß die Toilette ist unerreichbar, verstellt von unzähligen Menschen und Gepäckstücken und kaum vorstellbar, sich nach vorn und wieder zurück durchzukämpfen.
Dabei sind Stehplätze im Großraumabteil gar nicht vorgesehen oder erlaubt, es gibt auch keine Halteschlaufen. Als Stehender muss man sich in die Kopfteile der belegten Sitze krallen. Die Fahrt ist für niemanden ein Vergnügen.
Eine schwangere Frau hockt auf dem Boden. Ich schlage vor, sie solle doch jemanden bitten, ihr einen Sitzplatz zu überlassen und deute auf die Schulklasse, die das halbe Abteil in Beschlag genommen hat, aber die Frau winkt ab. Ich meine ja, das ist keine Frage einer Reservierungsnummer, sondern eine Frage des Mitgefühls, aber wer weiß, wie die sitzenden Schüler das sehen.
Eine halbe Stunde vor Ankunftszeit fangen wir an, uns in Richtung Ausgang zu begeben, das dauert.
Meinen Koffer aus dem Wirrwarr der Gepäckablage zu bergen schaffe ich auch nur dank der Hilfe eines Mitfahrenden mit reichlich Muskelkraft und es ist eine Kunst, dabei niemanden zu erschlagen.
Vor dem Klo stehen so viele Menschen, dass man die Tür sowieso nicht aufkriegt.
Mit vier Stunden Verspätung treffen wir in Linz ein.
Ich erinnere mich: Vor zwanzig Jahren, als ich studiert hatte, bin ich die Strecke Salzburg-Linz jede Woche gefahren, OHNE Reservierungen wohlgemerkt, und Zustände wie heute hat es damals nie gegeben.
Ich bedauere die armen Seelen, die in diesem Zug noch bis Wien weiterfahren müssen und bin versucht, nach dem Aussteigen den Boden zu küssen - so froh bin ich, der drückenden Enge entkommen zu sein.
Zum ersten Mal zahle ich die fünfzig Cent fürs Bahnhofsklo, was ich prinzipiell für amoralische Abzocke halte, um mich endlich erleichtern und frisch machen zu können.

Nach Hause noch nicht.
Einer der jungen Männer im Zug hatte uns vorab schon den Tipp gegeben, bei einer Zugverspätung würde einem ein Teil der Fahrtkosten zurückerstattet.
Wir begeben uns also umgehend zum Bahnhofsschalter und sind gewiss nicht die Ersten, die an diesem Tag eine Refundierung bekommen, wie uns die Schalterfrau erklärt.
Formular ausfüllen, einreichen, warten, bis die Zuständige alles in ihren Computer eingetippt hat.
Wegen der vierstündigen Verspätung werden uns anschließend wirklich 50 % des bezahlten Fahrpreises aufs Konto zurückgebucht.
Für die unwürdigen und sicherheitstechnisch gefährlichen Bedingungen ab Salzburg und für die Unannehmlichkeiten bekommen wir nichts, wieder nur Schulterzucken und hilfloses Lächeln.
Die Reise endet, wie sie begonnen hat.

Umweltfreundlich reisen wollte ich und war auch bereit, so manches dafür in Kauf zu nehmen, etwa die beengte Schlafsituation oder die vergleichsweise lange Fahrtzeit. Allerdings: Die Zumutungen, die ich erfuhr, empfinde ich als untragbar.
Von daher kann ich eine solche Zugreise 2024 nicht wirklich empfehlen.
Ich fürchte zudem, diese Erfahrung ist kein Einzelfall.
Ein Bekannter, der letztes Jahr ebenfalls mit dem Zug nach Amsterdam reisen wollte, hat noch Schlimmeres berichtet. In seinem Fall ist der vorab gebuchte Schlafwagen komplett ausgefallen und er musste um 03:00 Uhr in der Nacht Anschlusszüge suchen und kleinteilige Routen in Sitzwägen zusammenstückeln, an Schlaf war nicht zu denken.
Ein anderer Bekannter, der mit dem Klimaticket jede Woche unterwegs ist, beteuert, dass das Stehen in überfüllten Zügen längst schon der Normalfall geworden ist. Er erzählt uns, er würde sich bei einer längeren Fahrt schon mal auf den Boden legen oder er hätte sich auf der Toilette eingesperrt, um ein bisschen schlafen zu können.
Wenn das also dieser berühmte Fortschritt sein soll, steige ich dankend aus.

Trotz aller Widrigkeiten verlebte ich wirklich schöne Tage in Amsterdam, das möchte ich festhalten.
Alles in allem ist das Reisen im Jahr 2024 aber … schwierig.
Ausgeraubt wird man von den Oberen, gegen die man recht- und machtlos scheint.
Öffentliches Gemeingut wie das Bahnfahren funktioniert nicht mehr wirklich.
Man findet sich auch immer öfter unter Bedingungen wieder, in denen Datenschutz und das anonyme Analoge keine Rolle zu spielen scheint, und man kann sich oft nicht dagegen wehren, hat keine Wahl mehr.
Aber sicher, wer 2024 eine Reise tut, hat Vieles zu erzählen.
 
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petrasmiles

Mitglied
Ja, die Segnungen der Digitalisierung .... seit diesem Sommer wird es die BahnCard bei der DB nur noch als App geben, keine Karten mehr; in meinem Bundesland gibt es das Deutschlandticket nur elektronisch, habe ich mir eine Chipkarte im Nachbarland besorgt ... diese Auschließlichkeit in Amsterdam macht mich frösteln. Mit dem Bargeld hier das Gleiche, allerdings gibt es immerhin noch Bargeldkassen in den Supermärkten und sonstigen Ketten, aber meist ist nur eine auf. Ach ja, young urban Trottels. Mit 'schick und modern' bekommt man sie leicht, und wenn es dann auch noch 'bequemer' sein soll - so sagt die Werbung - und 'billiger' - so für ein paar Monate - lässt sich jeder Depp 'überzeugen', gerne am Fortschritt teilnehmen zu wollen. Und die Oldies sind ja nur zu beschränkt, sich was Neues anzueignen. In einem Museumscafé in Potsdam hat mir ein hipper Schnösel gesagt, wir sollten mit Karte unseren Kaffee zahlen, sie hätten kein Bargeld zum Wechseln - natürlich war das Kartenlesegerät im Dauereinsatz und streikte bei jedem dritten Kunden. ich habe ihn fest ins Auge gefasst und abgezähltes Bargeld hingelegt.

Die Zustände in den Zügen sind ja wirklich haarsträubend.
Wir sind früher gerne und oft mit dem Zug gefahren, aber wenn man umsteigen muss, wird es mit Gepäck unangenehm und wenn man Anschlüsse verpasst, hockt man da. Ist uns zweimal passiert, dann war es das. Bei der DB wissen wir, dass sie über Jahrzehnte kaputt gespart wurde, und jetzt, wo sie am Personal nicht mehr sparen können, weil sie keines mehr bekommen, muss es eben der Service am Kunden und seine Bequemlichkeit sein.

Wofür in Europa Geld ausgegeben wird, und wofür nicht, schreibt eine ganz eigene Kulturgeschichte und es wird Zeit, dass die mal einer aufs Korn nimmt - von wegen Kindergrundsicherung oder Infrastruktur.

Liebe Grüße
Petra
 
Geschafft! Ich habe deinen so bedrückenden wie sehr lesenswerten Bericht über eine Alptraumreise eben bis zum Ende gelesen, Dichter Erdling. Du selbst siehst es ja differenzierter, aber mir, dem diese Orte und Strecken von früher gut bekannt sind, erscheint fast alles wie ein Alp. Ich fand die Lektüre auch insofern nützlich, als ich nun weiß, dass auch auf internationalen Zügen dieselbe Misere anzutreffen ist wie bei einheimischen deutschen Schnellzügen. Bei meinen bislang letzten Fernreisen innerhalb Deutschlands hatte ich ja ähnlich negative Erfahrungen machen müssen. Auch aus anderen Gründen unternehme ich seit zwei Jahren nur noch Tagesausflüge mit der Bahn, man kann von Berlin dabei einen großen Radius abdecken. Diese Regionalzüge haben auch ihre Mucken, aber den Daten auf den Abfahrtstafeln in den Bahnhöfen kann man entnehmen, dass die chicen Langstreckenzüge viel öfter verspätet sind und es sich dabei oft um ein bis zwei Stunden handelt. Zur Alternative Fliegen: Was ich da höre oder lese, zeigt mir, dass auch hier der Standard deutlich gesunken ist im Vergleich zu früheren Jahrzehnten. Was läuft da ab: ein allgemeiner Prozess der Verschlechterung der Lebensbedingungen, von dem der beim Reisen eben ein kleiner, doch nicht unwesentlicher Teil ist.

Der Text informiert gut, ist trotz der vielen Details flüssig zu lesen und weist, passend zu Tagebuch-Notizen, auch noch eine persönliche Note auf.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 
Hallo Petra!

Es ist wirklich bedenklich, wie sorglos und achselzuckend solche Neuerungen hingenommen werden, die Überwachung und Verlust der Privatsphäre bedeuten, wenn sie nur schick und cool daherkommen.
Wer unten und wer arm ist, für den ist eine überwachte Welt ungleich verhängnisvoller.
Derjenige, dem von jeher alles offensteht, der spaziert gewiss auch morgen noch relativ unbekümmert umher.
Wer es gewohnt ist, sich mit Kreditkarte und gültigem Ausweis unbehelligt durch die Welt zu bewegen, dem macht die zunehmende Überwachung vorerst keine Angst.
Mir allerdings schon.

Ein Amsterdamer hat ja behauptet, die Kunden der Prostituierten würden ebenfalls oft schon mit Karte statt anonym und bar zu zahlen.
Ich habe erwidert: Jene, die verheiratet sind, sicher nicht, sofern sie ein bisschen clever sind.
Da hat er gelacht, das wäre ihm selbst gar nicht eingefallen.
So weit denken die oft gar nicht, wenn sie freimütig einer Überwachungstechnologie das Wort reden.

Ich denke mir, gerade in einer Stadt wie Amsterdam kann es verfänglich werden, seine Alltagswege digital auslesen zu lassen.
Wen es allzu oft ins Rotlichtviertel verschlägt, der, so schlussfolgert man vermutlich, muss dort wohl Stammkunde sein. Und dann schlussfolgert man weiter. Ob man so einen Menschen bei sich anstellen möchte; einen, der vielleicht krankhaft sexbesessen ist und sich deswegen nicht so gut auf eine Arbeit konzentrieren kann? Vielleicht sollte ihn auch die Bank besser kein Konto eröffnen lassen, die Versicherung sollte ihm die Beiträge erhöhen, weil ja doch das Risiko besteht, dass der Betreffende sein Geld nur verhurt und sich Geschlechtskrankheiten einfängt? …
Wer meint, er hätte nichts zu verbergen, weiß meist gar nicht, was sich alles bergen lässt aus den diversen Datensätzen und welche Stricke man draus drehen kann.

Ich selbst versuche mich gegen derlei Dinge zu wehren, wo es geht – aber oft geht es eben gar nicht mehr und mit meiner Wehrhaftigkeit stehe ich allein auf verlassener Flur, werde als altmodisch oder unfähig, als einfach nicht zukunftsfit belächelt.
Zukunft scheint ohnehin nichts mehr, das man bestmöglich für die Vielen gestaltet, sondern etwas, das die stumme Anpassung und Gehorsamkeit aller erfordert.

So lässt mich diese Reise schon auch mit flauen Gefühlen zurück.


Es grüßt dich aber sehr lieb: Erdling
 
Hallo Arno Abendschön!

Das Prädikat „Alptraum“ möchte ich der Reise insgesamt nicht aufdrücken, trotz allem.
Immerhin war ich in netter Gesellschaft - das ist schon mal die halbe Miete - und habe viel Neues gesehen, freundliche und interessante Menschen kennengelernt.
Ich hatte auch schon Urlaube, wo das Rundherum zwar reibungslos funktioniert hat, aber ich war gefangen in einer familiären Reisegruppe, welche an sich einfach nur anstrengend bis unerträglich war; streitsüchtige, kontrollsüchtige, herrische Leute, schwierige Konstellation.
Alles besser als das, will ich sagen. Und alles relativ.
(Ist vielleicht auch nur der Versuch, sich die Sache schönzureden, kann sein.)

„Die allgemeine Verschlechterung der Umstände“ trifft es schon sehr gut, um von der generellen Entwicklung diverser Lebensbereiche zu sprechen.
Allenthalben soll man als Kunde, als Mensch verzichten, zurücksteigen, Abstriche machen - während auf der anderen Seite die Gewinne regelrecht explodieren. Es dämmert vielleicht langsam doch, dass etwas faul ist am Gesamten.

Die Zugverbindung nach Amsterdam ist übrigens jene, die am fehleranfälligsten ist. Das kam lustigerweise vor ein paar Tagen auch in den Nachrichten auf: https://www.derstandard.at/story/30...i-nightjet-verbindungen-auch-solchen-der-oebb
Das Problem hat also Methode.
Und „Downgrade“ nennen sie es, wenn statt des gebuchten Liegewagens plötzlich doch nur ein Sitzplatz verfügbar ist.
Ist jetzt auch meinem Sohn so passiert. Ende Juni fährt auch er mit dem Nachtzug nach Slowenien, hat die Fahrt schon vor Monaten gebucht und nun, wenige Tage vor der Abfahrt, erhielt er die Nachricht: Sorry, Liegewagen gibt’s dann doch nicht.

In einem Interview beteuerte einer der Verantwortlichen, man würde an den Problemen arbeiten und in einem Jahr schon wäre vielleicht alles anders („besser“ er hat nicht gesagt).
Aber wer weiß, vielleicht handelt es sich wirklich bloß um vorübergehende Schwierigkeiten wegen gesteigerter Nachfrage, Lieferengpässen, fehlender Ersatzteile etc. und es bessert sich die Lage auch wieder. Grundsätzlich will ich die Sache nicht schlechtmachen und bin im Herzen dann doch unerschütterlicher Optimist.

Danke fürs Lesen jedenfalls und für deine Gedanken zum Thema.
Ich höre und lese gern von dir.

LG, Erdling
 

John Wein

Mitglied
Ok, Erdling,
Die Niederlande sind halt ein bisschen anders, spezieller, aber doch auch ein ganz klein bisschen liebenswert, etwa so klein, wie das Land hinter Kleve. Meine Tochter ist in Nijmegen verheiratet und ich kann deine Schwierigkeiten verstehen, die du mit den öffentlichen Verkehrmitteln hattest. Ich weiß, die Bahn ist dort noch viel unpünktlicher und unregelmäßiger als unsere DB. Wie oft hat während des Studiums meine Tochter das erfahren müssen. In den NL ist der Suizid im Schienenbett Mode und danach kippt das aufeinander abgestimmte System jedessmal landesweit.
Dafür ist das Radfahren in NL, ganz im Gegenssatz zu hier, entspannend und gefahrlos. Ich hab dort immer das Rad dabei, aber
ich bete auch immer, dass, wenn ich mit dem Wagen zurück in Deutschland bin, dort keinen Radfahrer totgefahren habe. Die Deutschen erkennt man dort am Fahrradheim, Holländer brauchen das nicht, haben aber mindestens 3 Räder und davon steht immer eins am Bahnhof. Sie fahren sehr viel unbekümmerter und unachtsamer, als wir das hier müssen.
Mit einer ticket APP fahre ich auch hier bei uns im Rheinland ohne Probleme mit Bus oder Bahn.

....und Amsterdam ist nicht unbedingt Niederlande. Es ist ein Touristemoloch und wie ich gelesen habe noch mehr angesagt als London oder Paris. Mach mal eine Schiffskreuzfahrt durch die Niederlande, wir haben dass schon ein paar mal gemacht. Das ist sehr entspannend und bequem und du siehst eine Menge. Da hast du dein Zimmer immer bei dir und brauchst nur einemal die Koffer schleppen. Wenn du Interesse hast bitte PN.
Ich grüße,
John Wein
 
Hallo John Wein!

Natürlich habe ich nur einen kleinen Ausschnitt der Niederlande, vermutlich auch nur einen Ausschnitt der Stadt Amsterdam erlebt.
Die Sache mit der Digitalisierung, die uns als segensreich verkauft wird, ist allerdings symptomatisch für unsere Zeit und es sollten dringend mehr Zweifel daran geäußert werden.
Das Erste, was ich zu meinem Mann gesagt habe, als ich das mit dem Checkpoinkt-System in der Straßenbahn überblickt hatte, war: „Hoffentlich fällt ihnen das nicht auch bei uns ein!“
So läuft das nämlich oft: Irgendwo läuft eine Testphase und dann wird die Sache überall ausgerollt mit dem Hinweis: In xy funktioniere das ja auch.

Und nicht mit, aber OHNE Ticket-App hat man schnell mal Probleme beim Öffi-Fahren. Hat man schnell mal keine Wahl mehr – das ist eben das Problem.
Bahnfahren ist für mich auch dort uninteressant, wo ich jede Fahrt im Vornhinein anmelden soll (muss). Ich will spontan hineinhüpfen, vor Ort schnell eine Fahrkarte kaufen, wie es bislang üblich war und will auch ohne Reservierung menschenwürdige Zustände vorfinden. Ich glaube nicht, dass das zu viel verlangt ist.

Kreuzfahrten reizen mich aus diversen Gründen nur wenig.
Einmal hab ich sowas auf dem Nil gemacht, das war noch halbwegs gemütlich.
Aber wenn ich mir vorstelle, in so einem Mega-Schiff unterwegs zu sein und bei jedem Landgang mit der Masse von Bord zu strömen für eine sehr begrenzte Zeit, die nur einen geringen Bewegungsradius erlaubt, dazu immer die Angst, die Abfahrt zu verpassen…
Nicht so meins.
Vom Umweltaspekt ganz zu schweigen. Die Dinger sind in der Hinsicht ja ziemlich übel…
Einmal haben wir so ein schwimmendes Hochhaus in Amsterdam vor Anker liegen sehen. Größer als die meisten umliegenden Gebäude, es sah irgendwie bizarr aus.

Die Zahl der Touristen in Amsterdam hat mich jetzt nicht sonderlich geschreckt, muss ich sagen.
Sicher, wuselig war es fast überall, aber es hat sich doch ganz gut verlaufen. Ich fühlte mich nie gedrängt oder geschoben wie z. B. auf Rhodos vor ein paar Jahren. Da war die Altstadt so übervoll mit Menschen, dass es kein Vorwärtskommen mehr gab. Nicht so lustig.

Dass du dich mit meinem Text beschäftigt hast, freut mich jedenfalls.
Ist seinerseits natürlich nur ein kleiner Ausschnitt daraus, wie ich die Welt erlebe.
Schon versuche ich beim Schreiben stets, jene Aspekte herauszufiltern, welche auch andere betreffen und interessieren könnten.
Leserreaktionen wie deine und die relativ hohen Klickzahlen (ist ja schon wieder unter „meistgelesen“) zeigen mir, dass das vielleicht gelungen ist.

Es grüßt dich ganz freundlich,


Erdling
 

John Wein

Mitglied
Hallo Erdling,
Man muss nur das System hinter allem kennen und dann ist es auch einfach. Eine passende Münze im Portemonnaie suchen, den Automaten finden, eine Karte ziehen und den Abstempelkasten finden, muss auch erst gelernt werden. Hier bei uns benutze ich das Mobilgerät klicke APP und die kennt meine nächsten Haltestellen die tippe ich und steige ein und wenn ich aussteige, macht man mich aufmerksam die Fahrt abzuschliessen.
Eine Flusskreuzfahrt ist etwas ganz anderes, als eine Hochseekreuzfahrt. Bei Hotelschiffen da bin ich ganz bei dir. Flusskreuzfahrten mit einem Bruchteil der Kabinen sind viel gemütlicher, man kennt nach wenigen Tagen alle Passagiere und man schippert gemächlich in NL auf Fluss und Kanal und hat z.B. Amsterdam vor der Haustür. Ich hab das auch schon einmal in Russland gemacht, grandios und auch mit dem Postschiff in Norwegen ist es sehr schön, die atemberaubende Landschaft zu bestaunen. Die fahren sogar teilw. mit Batterie.
Die angesagten Städte/ Locations obwohl interessant, meiden wir, zu überlaufen! Ich kenne das beruflich von früher, als es diese ganzen Tripps für viel oder wenig Geld noch nicht so gab. Das reizt mich nicht mehr.
Aber wie du nachlesen kannst, hab ich eine ganz andere Passion entwickelt und lerne Länder mit 4 km/h außer Graswurzel Perspektive kennen.
Ahoi, J.W.
 
Hier nochmal Erdling.

Die Münze gewinnt trotzdem.
Die kann ich nämlich nicht nur gegen eine Fahrkarte, sondern auch gegen einen Snack, eine Zeitung am Bahnhof tauschen, ohne dass jemand nachvollziehen kann, wohin ich fahre oder wie viele Kalorien ich zu mir nehme, welche Lektüre ich bevorzuge etc.
Ich brauche auch keine tausend verschiedenen Apps auf dem Handy, bin unabhängig von einer funktionierenden Internet-Verbindung (ist mit Wertkarten-Handy gar nicht so selbstverständlich) und bin prinzipiell nicht abhängig von einem ständig datengenerierenden Gerät, das ich betriebsbereit und aufgeladen bei mir tragen muss.
Wie wichtig es ist, sich anonym durch den öffentlichen Raum bewegen und allgemein: sich durchs Leben navigieren zu können, kann gar nicht hoch genug geschätzt werden – das ist überhaupt der wichtigste Punkt!
Die Nachteile und Gefahren des Digitalen sind vielleicht nicht so unmittelbar und direkt erlebbar, aber sie sind da und wiegen ungleich schwerer als eine Münze im Portemonnaie.
Soviel noch dazu.

So wie du deine Reisen beschreibst, ist das freilich ansprechend, das könnte ich mir schon auch vorstellen.
Grundsätzlich fühle ich mich auf dem Wasser recht wohl und antworte von daher ebenfalls mit einem verbindlichen Ahoi! und wünsche dir eine gute Zeit, wohin auch immer es dich verschlägt.
 
Das Erste, was ich zu meinem Mann gesagt habe, als ich das mit dem Checkpoinkt-System in der Straßenbahn überblickt hatte, war: „Hoffentlich fällt ihnen das nicht auch bei uns ein!“
Pardon, wenn ich mich noch mal einschalte. Mich hat das von dir über die Amsterdamer Straßenbahn Mitgeteilte so interessiert, dass ich mich im Netz noch zusätzlich informiert habe, insbesondere über das digitale Abrechnungssystem. Es ist ja wohl der eigentliche Kern dieser Zu- und Abgangsregulierung. Und tatsächlich, Überlegungen in diese Richtung werden auch in Deutschland seit Jahren angestellt; ob schon irgendwo realisiert, ist mir nicht bekannt. Auch die hiesige Politik, die BVG oder der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg raunen immer mal wieder von einem ganz neuartigen Tarifsystem, an dem gearbeitet würde. Meine Einstellung dazu ist ebenso ablehnend wie deine, ungefähr aus den gleichen Gründen.

Ich war gestern so neugierig, dass ich mir auch private Videos über den Straßenbahnbetrieb in Amsterdam angesehen habe. Dort entdeckte ich dann auch die verglasten Schaffnerkabinen in den modernen Bahnen, von denen ich ebenfalls, wenn auch nicht bei dir, gelesen hatte. Tatsächlich, es war deutlich zu sehen, wie da eine weibliche Person saß und während der Fahrt emsig in alle Richtungen blickte. Diese Schaffner verkaufen keine Fahrscheine, scheinen hauptsächlich Kontrollfunktionen auszuüben. Da dürften nennenswerte Personalkosten anfallen. Nun seid ihr ja am Tag der Abreise zweimal schwarzgefahren und habt wohl Glück gehabt ...

Schönen Gruß
Arno Abendschön
 
@Arno Abendschön

Ja, dieses Kontrollpersonal mit seinem Sitz hinter Glas in der Mitte der Straßenbahn habe ich auch bemerkt, hab es nur nicht extra erwähnt, weil der Text eh schon lang war.
Bei unserem Schwarzfahr-Abenteuer haben wir uns natürlich dumm gestellt und sind beim Ausgang eingestiegen, wo kein Aufpasser sitzt (das geht prinzipiell auch, wird halt nicht so gern gesehen, weil man als „Geisterfahrer“ den Fluss der Aussteigenden behindert).
Touris, die mit Koffern unterwegs sind, sieht man das vielleicht schon mal nach und denkt sich, die kennen sich noch nicht aus.

Ob Schwarzfahren ein Problem für die Stadt ist und wieweit das geahndet wird, kann ich nicht sagen.
Einmal habe ich am Hauptbahnhof einen jungen Mann gesehen, der recht sportlich über ein Drehkreuz gesprungen ist; also auch einer, der sich ohne Zutrittsberechtigung Zutritt verschafft hat, der Videoüberwachung zum Trotz. Alle anderen haben immer anstandslos gescannt, soweit ich das sagen kann.

Am letzten Tag habe ich aber auch eine Straßenbahn gesehen, die ohne Ein- und Ausgangsschranken ausgekommen ist. Sind wohl noch nicht alle Fahrzeuge solcherart „aufgerüstet“. Vorerst eher nur jene, die die zentralen Knotenpunkte anfahren.

Bei mir hatte dieses System den Effekt, dass ich es vorzog, zu Fuß zu gehen anstatt für nur eine Station in die Straßenbahn einzusteigen.

Kann man wirklich nur hoffen, dass das nicht Schule macht.
 



 
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