Die Obstbaumwiese

Nika

Mitglied
Auf der Obstbaumwiese spiele ich allein und warte darauf, dass meine Eltern mich abholen.
Stunden, Tage, Wochen, Jahre verbringe ich in der Hoffnung, dass meine Eltern bald kommen und mich mit nach Hause nehmen. Denn die, die sich Vater und Mutter nennen, können doch nicht meine wirklichen Eltern sein, Eltern haben ihre Kinder doch lieb und sind gut zu ihnen.?!
Es wird immer später, schließlich gehe ich nach Hause, vielleicht kommen sie am nächsten Tag.
An der Haustür merke ich, dass ich den Haustürschlüssel verloren habe, mal wieder. Dabei habe ich ihn an einem Wollfaden um meinen Hals gebunden, unter das T-Shirt gesteckt, damit das kein einziges Mal mehr passiert. Die Angst steigt in mir hoch, Panik, hoffentlich ist mein Vater nicht da. Noch ein verlorener Schlüssel führt zu schreien oder schweigen. Vorsichtig klingele ich, drücke den Knopf nur ganz leicht, trotzdem schrillt es drin enorm laut. Aufmachen wird auf jeden Fall meine Mutter, wenn mein Vater da ist, steht er nicht von der Couch auf. Meine Mutter kommt, schaut durch das Fenster und öffnet mir. An meinem Blick sieht sie, dass ich mal wieder den Schlüssel verloren habe, doch mein Vater ist zum Glück noch nicht zu Hause.
Die nächsten Tage werde ich nicht raus können, es sei denn, meine Mutter kriegt irgendwie das Geld zusammen, um mir einen neuen Schlüssel machen zu lassen. Meist geht dies jedoch schnell, denn wenn ich nicht raus kann, kann ich meine kleinen Schwestern nicht mitnehmen. Diese habe ich oft dabei, meine Mutter sagt vorher die Zeit an: Vor ein, zwei, drei Stunden braucht ihr nicht heimzukommen. Meine Schwestern sind viel jünger als ich. Mit zehn Jahren kann ich sie schon allein versorgen. Füttern, wickeln, beruhigen, bespaßen, das kann ich schnell. Mein großer Bruder stellt sich dabei mit Absicht selten blöd an, die Mädchen weinen ständig, wenn sie ihn sehen. Aus dem geplanten „mein Bruder und ich nehmen abwechselnd die Kinder“ wird also ein „immer nehme ich die Kinder“, weil meine Mutter sonst weint. Das Weinen meiner Mutter kann ich nicht ertragen und mache in meinem Leben fast alles so, dass sie weniger weinen muss. So bekomme ich schnell wieder einen Schlüssel, gehe mit den Kindern spielen und verbringe so viel Zeit wie möglich auf der Obstbaumwiese, um auf meine Eltern zu warten.
 



 
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