Die gelben Säcke

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Hera Klit

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Die gelben Säcke

Sie haben die gelben Säcke mitgenommen, obwohl diese nicht von der Stadt waren.
Ich hatte die Säcke im Supermarkt besorgt, weil die offiziellen Ausgabestellen für gelbe Säcke mir zweimal keine gelben Säcke ausgeben konnten, mit der Begründung, die RESO könne momentan leider keine gelben Säcke liefern und es sei nicht absehbar, wann die RESO wieder in der Lage sein würde, zugelassene gelbe Säcke an die Ausgabestellen zu liefern.

Dummerweise hatte sich bei mir erheblich viel Plastikmüll angesammelt, weil ich zwei- dreimal vergessen hatte ihn hinauszubringen, der auch schon unangenehme Gerüche erzeugte in meinem Kellerraum, in dem ich die Müllsäcke gewöhnlich sammele, sodass ich jetzt zu diesem Regelverstoß geradezu durch die untragbaren Umstände gezwungen wurde. Bis zuletzt hatte ich nicht glauben können, dass die Männer der Müllabfuhr bereit sein würden illegale gelbe Säcke in ihren Müllwagen zu laden, deswegen schlief ich diese Nacht recht unruhig.

Im Schutze der Dämmerung brachte ich gestern Abend die Säcke hinunter zur Straße, um keinem aufmerksamen Nachbarn die Chance zu geben, sie als unpassend zu identifizieren.
Sicher hätte es dann geläutet bei mir und der Nachbar hätte mir, nachdem ich auf den Balkon getreten wäre, heraufgerufen, er müsse mir leider sagen, die gelben Säcke entsprächen nicht den Vorgaben der Stadt, worauf ich natürlich schleunigst hätte hinuntereilen müssen und unter etlichen Bitten um Entschuldigung und mit der lächerlichen Behauptung, es sei mir nicht aufgefallen, dass die Säcke irregulär wären, diese wieder, unter den berechtigt vorwurfsvollen Blicken des Nachbarn, ins Haus und in den inzwischen gelüfteten Kellerraum herauf- und hereinschaffen müssen.

Durch meinen geschickten Schachzug, die aufkommende Nacht abzuwarten, blieb mir diese Schmach erspart.

So stand ich aber verängstigt heute Morgen auf dem Balkon, als ich das laute Piepen des, in unserer Straße, die eine Sackgasse ist, zurückstoßenden Mülllastkraftwagens, vernahm und ich wartete mehrere bange Minuten, bis der Lastkraftwagen die Straße wieder heraufkam, um die jeweils korrekten gelben Säcke aller weiter hinten wohnenden Nachbarn einzuladen.

Als der Müllwagen heranfuhr zu meinem Haus, schien mir das Tempo, das der Müllwagenfahrer vorlegte, viel zu schnell, sodass ich mir sicher war, er beabsichtige auf keinen Fall bei mir anzuhalten, um die von seinem sehr geübten Auge sofort als regelwidrig erkannten Säcke von seinem hinterhereilenden Helfer einladen zu lassen.

Selbstverständlich bestimmt der Fahrer, wo er stehen bleiben will oder muss und welche gelben Säcke mitzunehmen sind, der Helfer hat nur die Aufgabe die Säcke hinten hineinzuwerfen, ohne sich noch einmal Gedanken zu machen, welcher Art die bereitliegenden Säcke zu sein scheinen.

Freilich, einen blauen oder gar grauen Sack, wird auch der Helfer niemals akzeptieren können und dürfen, sollte der Fahrer einmal fälschlicherweise an solchen den Müllwagen anhalten. Das erklärt sich von selbst, aber Säcke, die ähnlich gelb sind, darf der Helfer sicher nicht zurückweisen, denn solche feinen Unterscheidungen werden ihm bestimmt nicht obliegen, er muss sie einladen, wenn der Fahrer, durch sein Anhalten, diese Säcke als regelkonform bereits anerkannt hat.

Ich sah noch den starken Arm des Fahrers durchs offene Wagenfenster zwischen Busch- und Blattwerk, meiner Hecke huschen und hatte schon fast resigniert, da quietschten die Bremsen und der Müllwagen hielt an, allerdings schon einige Meter zu weit, sodass der Helfer zurückeilen musste, um meine gelben Säcke dann in hohem Bogen in den hinteren Schlund des Müllwagens zu werfen.

Das weite Vorbeifahren des Fahrers, bevor er den Müllwagen zum Stehen brachte und das wütende Schleudern des Helfers beim Hineinwerfen meiner gelben Säcke aus dem Supermarkt, sollten mir sicher signalisieren, dass sie beide hier eine einmalige Ausnahme machten, aber nicht noch einmal bereit sein würden, meinen Gesetzesverstoß zu unterstützen.

Für den Moment war ich erleichtert, obwohl ich mich gemaßregelt fühlte und ich konnte nur
hoffen, die RESO versorge künftig die Ausgabestellen wieder mit richtigen gelben Säcken, die keinen Anstoß erregen bei aller Welt.

Das sind die Situationen, die ich fürchte, in denen der Bürger nicht durch eigenes Verschulden, von den zuständigen Stellen und Ämtern in eine Zwangslage gebracht wird, die ihn regelrecht nötigen, das Gesetz mit Füßen zu treten. Ein untersuchender Richter wird nachher sicher nicht so weit in die Sache eindringen, um die Schuld des Amtes zu entschleiern, er wird bestimmt das Gesetz buchstabengetreu auslegen und kurzen Prozess machen.

Dann gibt es einen unbescholtenen Bürger weniger.
 



 
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