Der Blinde

mondnein

Mitglied
Der Blinde


Der so spricht kann nur ich selber sein
Kenne ich doch dieses Selbstmitleiden
Sich am eignen Elend sattzuweiden
Gerne wäre ich das arme Schwein

Gleich werd ich die Maske dir entreißen
Sah ich dich zwar nicht im Tagestraum
Deine Stimme doch verbirgt dich kaum
Die Befehle die so spießig beißen

Was hast du auf meine Augenlider
Für ein Dreck- und Speichelmus gerieben?
Hast mich dann zum Teich hinabgetrieben
Und zum Waschen beugte ich mich nieder

Da sah ich mit einem Mal die Bäume
Wie als wenn sie Menschen wären stehen
Sah die Feuer von der Sonne wehen
Lichterflügelvollgeschwirrte Räume

Und von diesem Teichgewelle wieder
Hob ich meine Augen und erwachte
Wischte noch die Reste ab und lachte
Sehen kann ich! Sehen kann ich wieder!


Die "Heilung des Blinden" gehört nicht nur zu den drei Synoptikern (Markus, Matthäus, Lukas), sondern füllt mit einer Art "Karma"-Diskussion ein ganzes Kapitel im Johannes-Evangelium.
Bei den Synoptikern sagt der Blinde, er sähe die Menschen wie Bäume. Das wird hier gewendet: Dem sehend Gewordenen öffnen sich die über die irdische "Blindheit" hinausgehenden himmlischen Freiheiten und Erkenntnisräume, er sieht (im Kontrapunkt zu dem langsam aufwachenden "Blinden" bei Markus) "Bäume als Menschen". Die irdische Erscheinungswelt ist ein "Teichgewelle".
 
Zuletzt bearbeitet:



 
Oben Unten