Aquarius

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rubber sole

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Das intensive Lesen wenigstens einer Tageszeitung, und dies vom Anfang bis zum letzten Satz, ist meine Reminiszenz an analoge Medien. Kürzlich bin ich bei der Lektüre des Wirtschaftsteils auf einen Artikel von überregionaler Bedeutung gestoßen, der, zumindest indirekt, mit meiner Vergangenheit zu tun hat. In diesem Bericht war von einer Anka P. aus Hamburg die Rede, Unternehmerin des Jahres 2023. Mit dieser Frau lebte ich vor langer Zeit mehr als sieben Jahre zusammen. Seit dieser Zeit habe ich viele Jahre lang nichts aus ihrem Leben erfahren.

Dabei habe ich noch sehr lebendige Erinnerung an meine damalige Freundin. Wir galten lange Zeit als Dreamteam - trotz des Altersunterschieds von knapp achtzehn Jahren. Und an einen Abend mit ihr erinnerte ich mich besonders. Dass dieser mittelbar der Anstoß für eine spektakuläre Karriere war, liegt außerhalb meiner Vorstellungskraft. Sie, die musiktechnisch ein typisches Kind der Achtzigerjahre war, interessierte sich an dem Abend für meine musikalische Vergangenheit. Davon mochte ich schon immer gerne und ausführlich erzählen. Wir hatten schnell die frühen Sechziger abgehandelt, in denen meine musikalische Ausrichtung überwiegend von den Beatles geprägt worden ist. Danach blieben wir, wie ich nun annehmen kann, schicksalhaft, an einem Song aus dem Jahr 1968 hängen: Aquarius aus dem Musical Hair. Ich spürte damals sofort, dass meine junge Freundin von diesem Lied, oder besser, von dessen Botschaft, extrem angefasst war. Allein der Refrain: “This is the dawning of the Age of Aquarius“, der den Eintritt in das Zeitalters des Wassermanns beschreibt, nahm sie derart gefangen, dass sie alles über dessen astrologischen Hintergrund erfahren wollte. Für mich war das lediglich ein bekannter, musikalisch eingängiger Titel aus der Zeit der Hippiebewegung, nicht mehr. Esoterische Anwandlungen sind mir schon immer fremd gewesen.

Bei meiner Freundin Anka war dies anders. Sie stieg voll in die Welt der Astrologie ein, wodurch wir uns bereits ein Stück weit entfremdeten. Anka fand bald Zugang zu einem Zirkel von Hard-Core-Esoterikern, in dem sie sich mit Haut und Haar dem Übersinnlichen verschrieb. Hier endete meine Nähe zu ihr. In meinem Frust bezeichnete ich diese Truppe seinerzeit, möglicherweise ein wenig zu pointiert, als esoterische Desperados. Starker Tobak. Aber was dort voller Überzeugung verbreitet wurde, war unglaublich. Nicht nur, dass die das genaue Datum zu wissen glaubten, der 21. 12. 2012, an dem der Zeitenwechsel erfolgen sollte, passend zum Ende des Maya-Kalenders, nach dem viele Mystiker den Untergang der Welt sahen. Nein, sie gingen soweit, dass die schrecklichen Ereignisse um 'Nine/Eleven' bereits ein eindeutiger Hinweis gewesen sein sollten, eine Vorankündigung auf die Apokalypse - könne man auch in den Offenbarungen des Johannes so herauslesen, so ihr Credo. Möglicherweise war diese ungeheuer schräge Interpretation auch nur ein verzweifelter nachträglicher Erklärungsversuch, nachdem ich sie wegen fehlender Fanale zum Stichtag im Jahr 2012 veralbert hatte. Anka und ihre Freunde brachen daraufhin jeglichen Kontakt zu mir ab.

Und in der Vita der heute so erfolgreichen Geschäftsfrau las ich nun, dass sie mit darauf basierendem Horoskop-Hokuspokus, so wie ich es seinerzeit nannte, ein Vermögen gemacht hatte. Zunächst als freischaffende Wahrsagerin in einem psychedelisch aufgebrezelten Bauwagen am Stadtrand von Hamburg, mit bemerkenswert eindrucksvollem Astrologie-Schnickschnack, heißt es weiter in dem Artikel. Der Erfolg gab Anka recht. Sie musste ihr Unternehmen erweitern. Um den enormen Bedarf im Lande decken zu können, etablierte sie eine Vertriebsstruktur, in der zahlreiche 'Astro-Außendienstler' im Stil von Drückerkolonnen pseudowissenschaftliche Horoskope unter das Volk brachten. Auch dies war von großem Erfolg gekrönt. Den absoluten Höhepunkt als Unternehmerin erreichte sie kürzlich mit einer sensationellen Geschäftsidee. Sie vertreibt zusätzlich Horoskope für Hunde – sehr erfolgreich unter dem Markennamen 'Astro-Dog'. Ein Riesenmarkt. Einfach genial.

Ich habe vor, Anka demnächst in ihren neuen Geschäftsräumen in der Hamburger Hafen-City zu besuchen. Wäre schön, dort mit Blick über Hafen und Speicherstadt von alten Zeiten zu plaudern. Vielleicht bei einem Joint, und der Musik, mit der alles anfing: “When the moon is in the 7th house, and Jupiter aligns with Mars...“.
 

Bo-ehd

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Gute Geschichte, sehr schön geschrieben. Gern gelesen, weil ich bis zur Mitte selbst voll drin war in diesem Geschehen. Die Esotherikphase habe ich ausgeklinkt, so wie dein Held, ganz spät aber die wahre und ernstere Seite der Astrologie kennengelernt. Wer tief genug drin ist, kann dem durchaus auch etwas abgewinnen.
 

rubber sole

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Hallo Bo-ehd,
danke für den Kommentar und die Wertung. Ja, wer diese Zeit bewusst erlebt hat, der kann auf Eindrücke und Auswirkungen einer speziellen 'Zeitenwende' zurückgreifen, auch wenn diese nicht genauso wie beim Erzähler stattgefunden haben muss,
Herzliche Grüße.
rubber sole
 



 
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